Allgemein,  Theologie

Was heißt hier “reformatorisch”?

Dr. Wolfgang Nestvogel geht in seinem Aufsatz, „Wer oder was ist reformatorisch? – Auf der Suche nach dem „reformatorischen Konsens“ der Frage nach, inwieweit seine persönliche Erkenntnis zu den Themen „Israel/Gemeinde bzw. Eschatologie mit dem Begriff „reformatorisch“ zu vereinbaren ist bzw. inwiefern dieser synonym zu Begiffen wie „evangelikal“ oder „bibeltreu“ steht. Dies muß und kann – unabhängig von der aktuellen Entwicklung um seine Person und Position an der ART – betrachtet werden.

Zählt also der Dispensionalismus bzw. Chilliasmus zur „reformatorischen“ Theologie(Diese Frage stellt er aktuell auch auf seiner Homepage)? In den o.g. Aufsatz, beruft sich W.N. grundlegend auf die vier reformatorischen „Soli“ (Zitate von Bernhard Kaiser aus Bekennenden Kirche Nr. 3 – Juli 2000), damit auf die Schrift als maßgebliche Autorität (norman normans) und auf die Reformatoren selbst. Dessen Lehre möchte er – durchaus in deren Sinn – nicht als reformatorische Tradition im Sinne der römisch-katholischen Tradition verstanden wissen.

Ihre eigenen Schriften und die unter ihrem Einfluß entstehenden Bekenntnistexte hielten sie dagegen nicht für unfehlbar. Alles sei an der Schrift zu prüfen und von dorther zu korrigieren (sola scriptura).

Die Reformatoren wollten nicht im geringsten als letztgültige Autorität der reformatorischen Sache gelten. Das wäre nichts anderes gewesen als die Rückkehr in Strukturen des bekämpften Römischen Lehramtes, das sich dreist neben und schließlich.über die Schrift stellte. Evangelische Predigt dagegen bindet ihre Hörer an die Schrift selbst als ultimative Norm. Dr. Wolfgang Nestvogel

An dieser Stelle räumt er durchaus einen gewissen Unterschied zwischen der eigenen und der Lehre der Reformatoren ein und gestattet sich die Freiheit des „gelassenen Umgangs“ mit dieser. Desweiteren führt er Organisationen (ACE) und Personen (Martyn Lloyd-Jones) an, welche eine Synonymität der Begriffe „reformatorisch“ und „evangelikal“ belegen soll und konfessionelle Grenzen überwindet.

Der reformatorische Konsens lebt von den fundamentalen gemeinsamen Überzeugungen. Sie haben die Substanz, auch über die einzelnen konfessionellen Grenzen hinweg – lutherisch, reformiert, baptistisch, brüdergemeindlich, anglikanisch usw. – eine echte und belastbare geistliche Gemeinschaft zu stiften. Das macht die verschiedenen evangelischen Konfessionen nicht überflüssig, dadurch werden die noch bestehenden Positionsunterschiede nicht einfach übersprungen – aber es nimmt ihnen die trennende Wirkung. Dr. Wolfgang Nestvogel

Sein Anliegen, nach geistlicher Gemeinschaft – welche ausschließlich Christus selbst stiftet – kann nur unterstützt werden, jedoch ändert dies nichts an bestehenden unterschiedlichen Überzeugungen. Problematisch dabei ist zudem, daß Begriffe oft einem Bedeutungswandel unterliegen, an Prägnanz verlieren, teilweise sogar eine inhaltliche Verkehrung ins Gegenteil erfahren.

Dies läßt sich am Beispiel des Begriffes „evangelikal“ exemplarisch nachvollziehen. Geprägt als Abgrenzung zur liberalen Bibelkritik, stellt es heute kein Problem dar, als evangelikaler Theologe bibelkritische Positionen zu vertreten.

Kann man also einfach den Begriff „reformatorisch“ einfach neu prägen, theologisch weiter fassen, ohne diesen inhaltlich preiszugeben? Darauf liefe es hinaus.

Ich meine, das dies nicht möglich ist. Reformatorische und evangelikale Theologie besitzen ohne Zweifel lehrmäßige Schnittmengen, jedoch auch große Unterschiede in der Ekklesiologie und Soteriologie. Dr. Bernhard Kaiser faßt dies in seinem Artikel in „Reformatorisch oder evangelikal?“, Bekennende Kirche Nr. 4, Oktober 2000 so zusammen:

Der Evangelikale liebt es überkonfessionell. Er meint, er könne mit seinem Verständnis des Christseins das ganze Spektrum evangelischer Überzeugungen abdecken – Lutheraner, Reformierte, Methodisten, Baptisten, Brüdergemeinden und im Einzelfall sogar Katholiken. Bemerkt er, daß sich unter den verschiedenen Gruppen widersprüchliche Aussagen finden, dann tut er diese als nebensächlich ab. […] Der Vergleich des reformatorischen Denkens mit dem evangelikalen hat gezeigt, daß trotz einiger Gemeinsamkeiten auch grundlegende Unterschiede festzustellen sind. Dr. Bernhard Kaiser

Sowohl die von W.N. angeführten, aber auch andere namhafte Reformatoren vertraten weiterhin weder eine – wie auch immer geartete – Form des Dispensionalismus (diese waren i.d.R. amillenialistisch orientiert, Beispiel: Luther, Calvin) noch eine vergleichbare Israel-Theologie (verstanden die Kirche als das reife Israel, bestehend aus christusgläubigen Juden und Heiden; Calvin: familia dei, ecclesia aeterna) auch wenn durchaus bemerkenswerte theologische Unterschiede in der jeweiligen Bewertung des Judentums bzw. Israels bestanden (Luther überwiegend negativ, Calvin überraschend positiv).

Der Begriff „reformatorisch“ stand und steht jedoch ohne wenn und aber für konkret faßbare Lehren und Bekenntnisse. Das diese grundsätzlich unter der bleibenden Prüfung durch die Schrift stehen – wie Wolfgang Nestvogel zu Recht anmahnt – bleibt davon unberührt. Wenn nun in den Lehren der Reformatoren oder den Bekenntnissen Irrtümer erkannt werden, sind diese zu reformieren, zu ändern.

Nicht möglich erscheint mir jedoch, eine neue, oder andere Erkenntnis als die „reformatorische Lehre“, einfach unter das durchaus vorhandene Dach – unterschiedlicher Sichtweisen (beispielsweise die Abendmahlsfrage) – der Reformation zu stellen und einen neuen, erweiterten „reformatorischen Konsens“ im Sinne Dr. W. Nestvogels auszurufen.

sdg

apologet

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10 Kommentare

  • OllyRau

    Es schrieb einmal Sebastian Heck folgenden kleinen Abschnitt auf seiner ehemaligen Website, den ich hier gerne einbringen möchte:

    „Wenn Christen sich als “reformatorisch” bezeichnen, um damit die Gräben zwischen dem “lutherischen” und dem “reformierten” Flügel der Reformation (samt ihren Erben) zu verlassen und zu überwinden, dann ist das zunächst einmal positiv zu bewerten. Andererseits darf Irenik niemals auf Kosten theologischer Präzision gehen, d.h. man darf nicht – um des lieben Friedens willen – bei der Wahrheit Abstriche machen, in der Hoffnung, dass sich daraus eine echte Einheit ergibt. Echte Einheit, und das heißt eben auch und besonders, christliche Einheit, wächst auf dem Boden wahrer theologisch-geistlicher Übereinstimmung und nicht einer blinden, ignoranten Irenik. Die Wahrheit ist ein höherer biblisch-christlicher Wert als fromme aber inhaltslose Gemeinschaft.“

    Da die entsprechende Website nicht mehr besteht, so kann vorstehendes Zitat nicht mehr verifiziert werden, es wurde allerdings bereits in einem Buch verwendet. Wer die Echtheit anzweifelt, muss ggf. Sebastian Heck selber fragen.

    Oliver

  • apologet

    Hallo Oliver,

    ich kann dieses Zitat aus eigener Erinnerung bestätigen.

    Ich gehe mit S. Heck konform, daß es darum gehen muß, geistliche Einheit immer auf Grundlage der einen Wahrheit zu suchen und zu finden. Allerdings gilt die Fehlersuche stets in beide Richtungen… die eigene und die des anderen.

    „Ich bin mir ganz sicher, daß wir die Einheit am besten fördern, wenn wir die Wahrheit fördern. Es wird uns nichts nützen, wenn wir alle vereint sind, indem sich jeder unter die Irrtümer des anderen beugt. Wir sollten einander in Christus lieben; aber wir sollten nicht so vereinigt sein, daß wir außerstande sind, die Fehler des anderen und besonders die eigenen Fehler zu erkennen. Nein, reinigt das Haus Gottes, und dann werden herrliche, gesegnete Zeiten über uns anbrechen.“ C.H. Spurgeon

    sdg
    Andreas

  • Heinrich

    Wikipedia:
    Der Begriff Irenik (auch Irenismus von griech. εἰρήνη, eirene, ‚Friede‘) entstammt der theologischen Aufarbeitung der Konfessionskonflikte der Frühen Neuzeit.

    Dem Gedanken nach schon länger präsent, erscheint der Begriff erstmals im Titel einer 1593 publizierten Schrift des reformierten Theologen Franz Junius der Ältere. In scharfer Kritik an den gewaltsam ausgetragenen Religionskriegen betont Junius den friedensstiftenden Charakter des christlichen Glaubens und weist jegliche Form von religiös begründeter Gewalt ebenso zurück wie die scharfe Polemik, mit der viele Theologen die jeweils anderen Konfessionen überzogen.

    Grundanliegen der Ireniker ist, sich auf das gemeinsame Fundament des christlichen Glaubens zu besinnen und von dort ausgehend in einen offenen Diskurs über die Unterschiede zu treten. Neben dem „Eirenicum“ des Franz Junius der Ältere ist das 1614 publizierte Irenicum des David Pareus (1548–1622) bekannt geworden.

    Gegenbegriffe zu Irenik sind Polemik (bei Pareus) und Zelotismus (im sogenannten Synkretistischen Streit). Den Irenikern war an gelingender Kommunikation zwischen den Konfessionen (lutherisch, reformiert, katholisch) gelegen, ohne grundlegende Glaubensnormen aufgeben zu müssen. Sie stehen somit in der Mitte zwischen Dogmatismus einerseits und Relativismus andererseits.

    Ich finde Irenik, wenn Wikipedia recht hat, also gar nicht mal so verwerflich. Solange sie nicht auf Kosten der Wahrheit geht, das ist klar.
    Allerdings wäre auch zu beachten, um welche Details es geht. Eine grundlegende Trennlinie sind die Solas der Reformation (Sola scriptura, Sola fide,Sola gratia,Solus Christus ,Soli Deo gloria): Wo diese (bzw. das, was sie bezeugen) in Frage gestellt werden, geht es nicht mehr um Detail- und Erkenntnisfragen, sondern der Kern des Glaubens ist in Frage gestellt.

    Wer sie aber bezeugt – nicht nur als Lippenbekenntnis – gibt es da wirklich die Rechtfertigung, aggressiv und verletzend zu argumentieren? Ich glaube es nicht.

    Das soll die Unterschiede nicht übertünchen, sie sind vorhanden und sie sind relevant. Aber unter denen, die die Solas bezeugen gibt es eine Basis, auf der die Auseinandersetzung geführt werden kann – die Schrift. Und wo die Schrift Sachverhalte nicht glasklar und ein-eindeutig beschreibt dürfte es wohl nicht um Sachverhalte gehen, die unser Herr als Scheidelinie zwischen Schafen und Böcken vorgesehen hat.

    Die Schrift bezeugt die Solas. Dem würden die oben beschriebenen „Evanglikalen“ schon nicht mehr folgen.

    Ob sie aber beispielsweise den A-, Pre, Mid-Term- oder Postmilleanismus oder doch etwas ganz was anderes lehrt darüber gibt es offensichtlich unterschiedliche Auffassungen. Von ernstzunehmenden, offensichtlich den Solas verpflichteten Christen. Ich denke nicht dass das dann ein zulässiger Anlass wird, die Friedfertigkeit aufzugeben und zu schweren Waffen zu greifen.

    ViC
    Heinrich

  • apologet

    Lieber Heinrich,
    Du benennst, ebenso wie W. Nestvogel – darin stimmen wir überein – die Soli der Reformation als Kriterium für die Bezeichnung „reformatorisch“.

    Dies ist ein tragfähiges Fundament für geistliche Gemeinschaft und Bruderschaft, auf der weiter vorhandene Erkenntnisunterschiede – soweit notwendig – diskutiert werden können.

    Darüber hinaus existieren jedoch weitere Kriterien. Wenn beispielsweise Luther der römisch katholischen Kirche aufgrund deren Rechtfertigungslehre zur Recht abspricht „Kirche“ zu sein, setzt er damit eine konkrete reformatorische Ekklesiologie voraus.

    Wer oder was ist „Kirche“? Neben sicher noch weiteren „reformatorischen“ Kriterien sehe ich speziell dieses Kriterium durch eine dispensionalistische Position nicht als „erfüllt“ an.
    ViC
    Andreas

  • OllyRau

    Lieber Heinrich,

    beim obigen Zitat sollte man vielleicht den letzen Satz besonders zu Herzen nehmen:

    „Die Wahrheit ist ein höherer biblisch-christlicher Wert als fromme aber inhaltslose Gemeinschaft.“

    Die von Dir so gerne verlautbaren Sola-Prinzipien sind nämlich nur ein Teil der Reformation und nicht die der Reformation ausmachende Teil. Ich behaupte, dass Deine Basis, wie Du so schön schreibst, aber nicht meine Basis ist, denn die Solas der Reformation werden allzu oft missbraucht, so wie es gewisse Protagonisten des Dispensationalismus tun.

    Der höhere Sinn der Wahrheit ist nämlich ein höherer biblisch-christlicher Wert, den gerne Verfechter des Dispensationalismus verdrängen wollen, weil jene mehr dem Geist des Irrtums nachjagen.

    Es ist fraglich, ob die Dispensationalisten überhaupt den Geist der Wahrheit besitzen !

    Lieber Heinrich – ich fordere Dich auf, Dein Denksystem aufzugeben, denn wer sein Leben verliert um Jesus willen, der wird es finden.

    Ich bitte Dich zur Aufgabe Deines Denkkonstruktes mit dem Namen Dispensationalismus !!!

    Gnade und Frieden
    in Jesus

    Oliver

  • apologet

    Hallo Oliver,
    weitere richtende Urteile über den Glauben von Geschwistern werde ich nicht tolerieren bzw. weitere Kommentare Deinerseits grundsätzlich löschen.

    Entweder Du lernst vernünftig und mit einem Mindestmaß an Liebe zu diskutieren, ansonsten bleibt keine andere Option offen.
    sdg
    Andreas

  • OllyRau

    @apologet

    Ich verstehe die Liebe Gottes so:
    „Mit Recht liebt man dich“ (Hohelied 1,4)

    Die Wahrheit entspricht der Liebe
    und Wahrheit kann wehtun !!!

    Religiöse Menschen verfolgen aber gerne
    andere Menschen:
    also wenn Du magst, dann verfolge mich
    und lösche meine späteren Beiträge,
    aber diesen Beitrag hier bitte ich Dich,
    noch stehen zu lassen.

    Oliver

  • Rene

    Hi Apologet

    Ich kann durchaus verstehen, dass es Reformierte nicht gefällt, wenn sich Dispensationalisten als reformatorisch bezeichnen. Einige Dispensationalisten mögen es zum Beispiel nicht, wenn sich die sogenannten progressiven Dispensationalisten als dispensationalistisch bezeichnen. 🙂

    Nun würde ich nicht wagen zu behaupten, der Dispensationalismus an sich sei reformiert. Trotzdem denke ich, dass man einige Dispensationalisten selbst schon als reformiert bezeichnen kann – ohne den Begriff „reformiert“ umzudefinieren oder Gewalt anzutun. (Z.B. MacArthur & Co.) Was meinst du?

    LG
    René

    • apologet

      Hi René,
      ich habe ja versucht das in meinem Artikel etwas deutlich werden zu lassen. „Reformiert“ bzw. „reformatorisch“ zu sein bedeutet nicht allein im Hinblick auf die Erlösung bestimmten biblischen Lehren zu folgen, auch wenn das sicher ein wesentlicher Aspekt ist.

      Man kann nicht einfach die Soteriologie autonom betrachten bzw. von anderen theologischen Bereichen trennen. Nach reformierter Auffassung handelt Gott von Anfang an und in Kontinuität auf Grundlage eines Bundes am Menschen. Dispensationalisten, egal welcher Coleur, unterscheiden jedoch Gottes Heilshandeln mal mehr oder weniger strikt.

      MacArthur oder hier Dr. Nestvogel sind ohne wenn und aber als Geschwister anzusehen, aber in Hinsicht auf ihre dispensationalistische Lehre muß ihnen eindeutig und ohne Kompromiß widersprochen werden.
      LG
      Andreas

  • OllyRau

    Hi Rene,

    Deine Aussage, dass man einige Dispensationalisten selbst schon als reformiert bezeichnen kann – ohne den Begriff “reformiert” umzudefinieren oder Gewalt anzutun, würde ich so nicht unterschreiben wollen. Insbesondere würde ich MacArthur und Co. nicht als reformiert bezeichnen.

    Meines Erachtens kann der Begriff „reformiert“ nicht nur inhaltlich ganz anders als der Dispensationalismus ausgefüllt werden, sondern „reformiert“ bedeutet vor allem auch vom Singehalt etwas ganz anderes als der Begriff „dispensationalistisch“.

    Beide Begriffe sind unvereinbar und sollten demnach auch nicht nebeneinander bei theologischen Begriffen stehen, um eine Einheit zu suggerieren.

    Reformiert ist nicht dispensationalistisch !

    Aus diesem Grunde ist die Verbindung von soteriologisch-reformiert mit eschatologisch-dispensationalistisch abzulehnen !

    Gnade und Frieden
    in Jesus

    Oliver