Sollte man sich "evangelikal" nennen?
Aktuell wird in der Idea-Rubrik „Pro & Kontra“ die Frage gestellt: Sollte man sich „evangelikal“ nennen?
Läßt sich diese Frage tatsächlich so einfach beantworten wie es die beiden Angehörigen der Idea-Redaktion tun, oder ist die Sachlage komplexer?
Aus der Reformationszeit ist neben den reformatorischen und der tridentinischen Kirche auch eine dritten Strömmung hervorgegangen.
Zumeist vergessen: der „linke Flügel“ bzw. die „radikale Reformation“ (Heinold Fast) und damit ein dritter Typus: eine sich als „restituierte“ Kirche“ (Wiederherstellung der neutestamentlichen Gemeinde, Franklin H. Littel) verstehende Bewegung. Zu dieser Bewegung wurden neben den Täufern, die Spiritualisten und Schwärmer auch Antitrinitarier gezählt.
Wobei diese Gruppen nicht streng voneinander getrennt zu sehen sind und deren theologische Positionen („Schleitheimer Artikel„, älteste schriftliche Glaubensurkunde) fließend ineinander übergingen.
Vergleicht man nun die Glaubensüberzeugungen vieler Evangelikaler mit denen dieser Bewegung, läßt sich eine fortgesetzte Bezugnahme auf die Reformatoren m.E. nicht durchhalten. Verschiedene Sola Scriptura-Verständnisse, eine andere Ekklesiologie etc.
Positionen, die uns heute in der evangelikalen Bewegung wiederbegegnen. Von der Radikalreformation ausgehend, über den Pietismus, hin zum heutigen Evangelikalismus.
Dr. Kim Riddlebarger behandelt in einem Interview mit der IRON SHARPENS IRON-Sendung (hier) diese Frage und kommt zu dem Schluß:
„Nein, der Evangelikalismus hat kein reformatorisches Erbe verlassen, weil er ein solches Erbe nie hatte.“
[podcast]http://mp3.sharpens.org/ISI/20090212ISI.mp3[/podcast]
Interview
Der mennonitische Theologe Fast, spricht als Vertreter dieses „dritten Typus„, will daher keineswegs aus reformatorischer Perspektive andere ausgrenzen. Er stellt diverse theologische Unterschieden – wie o.a. – fest, die sowohl die Soteriologie, Ekklesiologie und andere theologische Bereiche betreffen.
Als reformatorisch bzw. reformiert gesinnter Christ kann man diese Frage daher nur mit einem klaren Nein beantworten.
sdg
Andreas
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10 Kommentare
Christoph
Allein das Ansinnen dies zu diskutieren sollte jedem Christen Warnung genug sein. Wortglauberei und strategische Erwägungen, wie man wohl am besten die Ansinnen dieser gottlosen Bewegung bemänteln soll. Keinesfalls obliegt es den Evangelikalen selbst, allein zu festzulegen wie sie gern genannt werden möchten.
Dies ist doch immernoch die Freiheit der „Anderen“. Ebenso wie das was Christen und Nichtchristen, ganz subektiv eben einfach von den Evangelikalen wahrnehmen, soll ihnen als Maßstab der Beurteilung dienen und nicht wie jene gern genannt oder gesehen werden möchten. Wo kämen wir denn da hin!
Gott zum Gruß (Herr Steeb)!
Jochen
Hallo Andreas,
ich glaube, dass das Problem wesentlich tiefer liegt, da es verschiedene Verwendungen des Begriffs „evangelikal“ gibt. Ich persönlich bin schon vier verschiedenen Verwendungen begegnet:
1. „evangelikal“ steht für die Gruppe innerhalb des konservativen Protestantismus, die sich von den konfessionellen Denominationen (Lutheraner, Anglikaner, Reformierte, Reformierte-Baptisten…) abgrenzt, von der radikalen Reformation theologisch beeinflusst wurde und generell eher subjektiv-arminianisch geprägt ist (Brüdergemeinden, Baptisten, Mennoniten, Methodisten…) – also im Grunde das, was du beschrieben hast…
2. „evangelikal“ steht für sämtliche Christen, die sich in der Evangelischen Allianz wiederfinden, oder sich mit dieser identifizieren
3. „evangelikal“ steht für alle Gruppierungen, die Übereinstimmungen in gewissen, allgemeinen dogmatischen Fragen haben (Irrtumslosigkeit und historische Zuverlässigkeit der Bibel, stellvertrendes Sühnopfer etc.)
4. „evangelikal“ steht für alle wiedergeborenen Menschen
Nach Definitionen 1&2 sind Reformierte nicht evangelikal, nach den Definitonen 3&4 schon.
Genau wie du halte ich es ingesamt für richtig, dass Reformierte keine Evangelikalen sind, aber wenn man bespielsweise in den Medien die teilweise sehr polemischen Kritiken an der evangelikalen Bewegung hört, dann ist das auch eine Kritik an den Reformierten. Und auch die Mitarbeit in gewissen evangelikalen Werken ist meines Erachtens (mit Verweis auf 3.) durchaus auch für Reformierte möglich.
In Christus,
Jochen
apologet
@Christoph
Hallo Christoph, ich sehe das ähnlich… selbst der neutralste Name für Gläubige: „Christ“, war von Beginn an ein Spottname.
sdg
Andreas
apologet
@Jochen
Hallo Jochen, in der Tat, der Begriff „evangelikal“ wird mehr als heterogen benutzt bzw. verstanden und hat darüber hinaus eine Bedeutungswandlung seit dessen Einführung erfahren.
Ich hab mit Reader hier schon ein wenig darüber disputiert. Das Problem ist m.E. in der Bekenntnisfreiheit begründet.
Man kann – unter Berufung auf die Bibel – fast alles glauben und sich dann „evangelikal“ nennen.
sdg
Andreas
Christoph
Hallo Jochen, hallo Andreas, das Problem liegt keineswegs tief oder in irgendwelchen Differenzierungen intellektueller Natur. Die Presse übt nicht pauschale Kritik an den Evangelikalen, sondern ich musste feststellen, sie tut es an den Taten und am Handeln der einzelnen Akteure der Bewegung, die diese ja letztendlich ausmachen. Bitte führen sie sich nur einmal die Ausführungen des Herrn Steeb in der Jungen Freiheit zu Gemüte – in der Jungen Freiheit!!!!!!!!! Oder besuchen sie eine Jahreskonferenz in Bad Blankenburg. Ich habe dort unfassbare Dinge, bezüglich des Weltbildes der DEA, sowie in der Sichtweise von Minderheiten und wie diese zu behandeln seien erlebt. Sowohl von offizieller Seite als auch von kleinen „Soldaten Christi“. Da wir einem schlecht als Christen.
Übrigens verstehe ich den Ruf der Evangelikalen nach einer differenzierten Wahrnehmung ihrer selbst als das alt bekannte Prinzip: „Getrennt marschieren – gemeinsam kämpfen“.
Inakzeptabel!°!!!!!
Christoph
Anna
Hallo Christoph, kannst du das etwas plastischer (transparenter) machen?
Welche Ausführungen in welcher „Jungen Freiheit“? Welches Weltbild der DEA? usw. …
Danke.
Anna
m
Ich denke es kommt darauf an zu wem man sagt das man evangelikal ist da man ja darauf achten muss was derjenige darunter versteht.
Es gibt von D A Carson einige hervorragende Vorträge zum Thema. Obwohl ein Amerikaner mit Evangelical wieder etwas anderes meint als ein Deutscher mit Evangelikal.
http://thegospelcoalition.org/index.php?/resources/name-index/a/DA_Carson/topic/Evangelicalism
apologet
Hi m,
vielen Dank für den Hinweis!
Warum sollte es aber überhaupt nötig sein, einen so mißverständlichen Begriff zu verwenden?
Wie Du schon richtig anmerkst, differenzieren Amerikaner den Begriff „evangelical“ (siehe hier) zudem.
sdg
Andreas
m
Da hast du natürlich recht man muss diesen Begriff nicht verwenden und ich würde auch auf öffentlichen Auftritten darauf verzichten um nicht unerwünschte Assoziationen hervorzurufen und damit von Anfang an abgestempelt zu werden. Was würdest du als alternativen Begriff zur Abgrenzung verwenden? Orthodox und Katholisch gehen jawohl auch schlecht 😉 und obwohl ich mich meistens als evangelisch bezeichne werde ich dann wieder sofort mit der Landeskirche assoziert und muss mich hier wieder abgrenzen. Da die meisten Menschen aber ohnehin nicht sonderlich gut informiert sind ist dies of überflüßig.
apologet
Hi m,
wenn Du mich so fragst… ich verstehe mich zu aller erst „schlicht“ als Christ.
Bezeichnungen wie „katholisch“, „orthodox“, selbst „charismatisch“ oder eben „evangelikal“ geben immer nur Teilaspekte dessen wieder, was darunter eigentlich zu verstehen ist… und selbst das wenige leider meist verzerrt. „Abrenzung“ ist für die meisten negativ besetzt… dient aber letztlich der Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Evangelium.
Da ich in den reformierten Bekenntnissen das Evangelium am klarsten wiederfinde, bezeichne ich mich primär als reformiert, aber auch reformatorisch oder evangelisch trifft es ganz gut.
Natürlich besteht Erklärungsbedarf wenn man diese Begriffe benutzt… ebenso wie sich ein Luther weiterhin als „katholisch“ verstand, kann man sich m.E. trotz aller Liberalität der Landeskirchen heute „evanglisch“ nennen.
LG
Andreas