Erweckung – berechtigte Hoffnung, oder vergebliche Mühe?
Die Hoffnung auf „Erweckung“, „Gemeindeaufbrüche“ etc. ist weitverbreitet in der evangelikalen Welt. Sie lebt vor allem von historischen Berichten, Erzählungen aus fernen Ländern und insbesondere in pfingst-/charismatischen Kreisen von unzähligen, eigentlich jährlich neuen Prophetien (bspw. Benny Hinn, Cindy Jakobs, Todd Bentley für Deutschland, Berlin). Diese werden dann zur Grundlage konkreter Erwartungen, Programmen und Aktionen (Beispiel: Summer2Go) genommen. Besteht diese Hoffnung zu Recht, oder ist es vergebliche Mühe?
In diesem kurzen Artikel möchte ich diese Fragestellung unter den drei Aspekten: den Vorstellungen im Allgemeinen, der Geschichte und dem, was das Wort Gottes dazu sagt behandeln.
Allgemeine Vorstellungen
Unter „Erweckung“ versteht gewiß nicht jeder dasselbe, aber einige gemeinsame „Kennzeichen“ oder „Voraussetzungen“ verbinden doch sehr viele damit.
„Kennzeichen“
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„Voraussetzungen“
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Ursachen für das „Ausbleiben“
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„Krücken“
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Die genannten Aspekte sind keineswegs als vollständige Liste aufzufassen, machen aber die ungefähre Denkweise deutlich.
Wenn man sich die geforderten Voraussetzungen oder oft angeführten Ursachen des Ausbleibens von „Erweckung“ anschaut, scheint es zudem ein Konzept zu sein, welches auf menschlicher Anstrengung beruht. Natürlich spielt Gott nominell eine Rolle, aber im Grunde lediglich als Kraft, die richtig genutzt werden kann und muß.
Geschichte
Diverse heute existierende Bewegungen verstehen sich als Frucht historischer „Erweckungen„, die sogenannten Erweckungsbewegung, die Heiligungsbewegung (Pietismus-> Evangelikalismus->Pfingstbewegung) etc.
Aus der Geschichte kennt man z.B.
- 1650: Erweckungsbewegung der Quäker (George Fox),
- 1739: methodistische Erweckung (George Whitfield, Wesley-Brüder),
- 1834: Erweckungsbewegung, Ursprung der Neuapostolischen Kirche (Edmund Irving),
- 1856: die Hugenotten,
- 1904/05 Erweckungsbewegung in Wales, Pfingstbewegung (Evan Roberts) etc.
Die Heterogenität dieser historischen „Erweckungen“ läßt deutlich werden, daß durchaus nicht alle als positive Entwicklungen für die Kirche/Gemeinde angesehen werden können. Nicht selten kam es zu Fehlentwicklungen bzw. diversen Irrlehren.
Sieht man sich die historischen oder zeitgenössischen Berichte an, stellt man fest, daß diese nicht selten emotionale, fleischliche Strohfeuer waren oder sind, oft Abtrennungen von bestehenden Kirchen verursachten (Anglikaner->Katholisch-apostolische Kirche-> Neuapostolische Kirche). Viele positive Auswirkungen (beispielsweise Kneipenschließungen in Wales) zudem nur temporärer Natur waren und es zu Irrlehren kam und kommt.
Es hat ohne Zweifel immer wieder Massenbewegungen gegeben, Veranstaltungen zu denen Zehntausende zusammenkamen, Menschen die dabei emotional betroffen wurden, es sogar zu Veränderungen in deren Leben kam dazu, das Menschen ohne Zweifel gläubig wurden. Ebenso war sogar zeitweilig eine spürbar veränderte Moralität Großbritanniens und der britischen Kolonien durch die methodistische Erweckung nachvollziehbar. Inwieweit es jeweils zu echtem Glauben kam oder kommt, kann nicht beurteilt werden. Dies betonte beispielsweise George Whitfield immer wieder.
Auch „Phänomene“ bzw. sogenannte „Wunder“ – in der Weise wie sie beispielsweise in Toronto, Lakeland etc. auftraten – sind immer wieder in der Geschichte hindurch überliefert. Beispielsweise bei John Wesley, dem aber George Whitfield, als er davon 1739 erfuhr schrieb, daß er dies Versuche des Teufels sind, die dazu ermutigt vom geschriebenen Wort Gottes wegzuführen.
Einmal, nachdem Whitefield eine seiner Veranstaltung bereits verlassen hatte, kam es zu ähnlichen „Phänomenen“. Whitefield wurde zurückgeholt, beendete diesen Tumult sofort und ermahnte die Versammelten auf liebevolle Weise, dies sich daraufhin beruhigten und nach Hause gingen.
Was sagt die Bibel?
Der Bibel ist der Begriff „Erweckung“ – im Zusammenhang mit der unvermittelten und massenhaften Buße bzw. Bekehrung vieler Menschen – schlicht unbekannt. Sie kennt jedoch sowohl im AT wie NT die „Erweckung“[1] einzelner Personen zu konkreten Aufgaben:
Und Jahwe erweckte Richter; und sie retteten sie aus der Hand ihrer Plünderer. Ri2:16
Und die Kinder Israel schrieen zu Jahwe; und Jahwe erweckte den Kindern Israel einen Retter, der sie rettete: Othniel, den Sohn Kenas‘, den jüngeren Bruder Kalebs. Ri3:9
Und Jahwe erweckte Salomo einen Widersacher, Hadad, den Edomiter; er war vom königlichen Samen in Edom. 1Kön11:14
Gott ist sowohl in der Auswahl als auch der Bestimmung seiner Werkzeuge vollkommen souverän. Er erweckt Retter, wie auch Widersacher und führt Seinen Willen unbedingt aus. Auch in der Apostelgeschichte wird der Begriff „erwecken“[2] wiederholt dazu verwendet, daß „Gott Personen zu einem Dienst oder Amt zu erweckt“ (Kap. 3,22.26; 7,37).
Moses hat schon gesagt: »Einen Propheten wird euch der Herr, euer Gott, aus euren Brüdern erwecken, gleich mir; auf ihn sollt ihr hören in allem, was irgend er zu euch reden wird. Apg3:22 (vgl. 5Mo18:15)
Im gesamten Neuen Testament ist auch das Gebet um „Erweckung“ bzw. die Buße/Umkehr von einzelnen oder vielen Menschen unauffindbar. Anders sieht es mit der Bitte um allgemeine oder konkrete Hilfe aus.
Danach setzte der Herr weitere zweiundsiebzig Jünger ein und sandte sie je zwei und zwei vor sich her in alle Städte und Orte, wohin er gehen wollte, und sprach zu ihnen: Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter [ergatas] aussende in seine Ernte. Lk10:2-3
Gott setzt ein und sendet in die Ernte, nicht wir entscheiden wer geht. Die Aufforderung Gott um Arbeiter, nicht um die Ernte selbst zu bitten, macht deutlich, das allein Gott der Souverän in der Mission ist. Er schenkt die Ernte, sendet, rüstet aus und versorgt die Arbeiter. In Mt9:37ff oder Lk10:2 konstatiert der Herr zudem unmißverständlich, daß die Ernte groß, in Joh4:35 sogar, das geistlich betrachtet ständig Erntezeit ist.
Sagt ihr nicht selber: Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte? Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf und seht auf die Felder, denn sie sind reif zur Ernte. Wer erntet, empfängt schon seinen Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit sich miteinander freuen, der da sät und der da erntet. Denn hier ist der Spruch wahr: Der eine sät, der andere erntet. Ich habe euch gesandt zu ernten, wo ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und euch ist ihre Arbeit zugute gekommen. Joh4:35
Christus macht hier deutlich das „Erweckung“, d.h. Ernte niemals das Ergebnis menschlicher Mühe, Anstrengung oder Arbeit ist. Keine Programme, keine Strategie oder auch noch soviel Gebet, besitzt Einfluß darauf. Worum wir bitten sollen, sagt Er jedoch auch: um Erntearbeiter!
Wer sind nun diese „Arbeiter“? In den Briefen ist wiederholt von den Arbeitern und Mitarbeitern der Apostel die Rede:
Wer ist denn Apollos, und wer Paulus? Diener, durch welche ihr geglaubt habt, und zwar wie der Herr einem jeden gegeben hat. Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat das Wachstum gegeben. Also ist weder der da pflanzt etwas, noch der da begießt, sondern Gott, der das Wachstum gibt. Der aber pflanzt und der begießt, sind eins; ein jeder aber wird seinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; Gottes Ackerfeld, Gottes Bau seid ihr. 1Kor3:5-9
Immer wieder wird deutlich, daß es hier um konkret von Gott gesetzte Mitarbeiter handelt. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen:
Natürlich existiert eindeutig der allgemeine Auftrag, die Menschen zu belehren, sie zu taufen und zur Buße aufzurufen (Mt28:19; 2Kor5:20). Das ist jedoch die Verantwortung der Kirche/Gemeinde insgesamt, nicht die des einzelnen Gläubigen. Der einzelne Gläubige ist gefordert immer dort Rechenschaft abzulegen, wenn er gefragt wird (1Petr3:15).
Wenn diesem Auftrag gefolgt wird, das Evangelium verkündigt wird, geschieht folgendes: Das Wort Gottes wirkt vollkommen selbständig (2Kor2:12ff -> Geruch zum Leben, oder Tod) je nach Beschaffenheit des Bodens (Mt13 -> Sämann, verschiedene Böden).
Erntearbeiter waren und sind von Gott berufene Männer Gottes, welche Er souverän „erweckt“ zu ganz bestimmten Aufgaben. Diese verkündigen das Wort Gottes in vollmächtiger Weise zu festgelegten Zeiten der Vorsehung Gottes.
sdg
apologet
Im 3L-Verlag erscheint demnächst ein interessantes Buch zu diesem Thema:
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TheYoungReformer: Erweckung (Brian H. Edwards)
[1] Sowohl das hebräische Wort qum, das soviel wie „aufstehen, aufrichten oder zustande kommen“ bedeutet, als auch das Wort ‚ur, welches eher im handelnden Sinne ein Aktivwerden und den Beginn, eine Sache wirklich auszuführen, bezeichnet, beschreiben ein konkretes und individuell motiviertes Handeln, welches sich im Allgemeinen vom Umfeld und der zeitgemäßen Strömung abhebt.
[2] Im Griechischen beschreibt bis auf wenige Ausnahmen das Wort anistemi die Tätigkeit des Erweckens im Sinne von „aufstehen machen, erwecken, auferwecken; aufstehen, sich erheben, auferstehen oder auftreten“. Zusammengesetzt aus istemi (stellen, aufstellen, aufrichten, festsetzen, bestimmen; zahlen, hinzählen, anrechnen, zurechnen; stehen, stillstehen, stehenbleiben, feststehen, bestehen, Bestand haben, dastehen, dasein, sich befinden, durchstehen, widerstehen, standhalten; vor Anker liegen), was schon allein durch die Wortbedeutung das andauernde Präsentsein vor Gott zum Dienst andeutet (Röm 12,1-2), und der Vorsilbe ana- (hinauf, über … hin; hindurch; je, jeweils), welches das aktive Handeln zum Aufstehen noch einmal zusätzlich verstärkt. Dabei wird es im Text auch für das Übergehen vom Tod zum Leben sowohl in der geistlichen als auch in der körperlichen Bedeutung verwendet, um danach dem Herrn dienen zu können.
5 Kommentare
johannes
Sehr guter Artikel. Und doch habe ich eine Anmerkung.
Ich persönlich denke, dass der Wunsch nach Erweckung gut und richtig ist. Zwar spricht die Bibel nicht direkt von Erweckung, aber sie streitet es nicht ab. Allein 3000Männer am Pfingsttag ist eine große Zahl Gläubiger.
DAs Problem liegt eher beim Verständniss von Erweckung. Es ist so, dass man davon ausgeht, es gäbe bestimmte Prinzipen. Wenn man diese einhält, dann ist es möglich Erweckung zu schaffen.
Wir müssen zurück zur Schrift und zu Christuskommen. Erweckung in einem LAnd, Kontinent oder in einer einzelnen Stadt ist Gottes Gnadengeschenk, dass wir nicht herbei zaubern können.
Ich denke aber, dass wir damit rechnen können, dass Gott, wenn er es in seinem souveränen Ratschluss will, Erweckung schenkt.
Ich bete fast jeden Tag für diese Gnade. Möge Gott das Licht der Reformation in Deutschland wieder strahlen lassen, so dass viele Menschen aufwachen und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.
Whitefield und Spurgeon, haben beide eine Erweckung erlebt, aber sie haben beide auch nur treu ihren Dienst getan. Das ist in erster Linie unsere Aufgabe, dem Herrn treu zu dienen.
apologet
Hi Johannes,
ich meine auch, das der Wunsch, viele Menschen würden gläubig, gut und richtig ist, das aber die Erwartung dies geschähe auf solch spektakuläre und massenhafte Weise – also im Rahmen einer „Erweckung“ unbegründet ist. Ich versuche das zu begründen:
1. Die Bekehrung von 3000 Menschen zu Pfingsten geschah auf Grundlage einer konkreten Verheissung Gottes (bspw. Joel). Ich halte die Erwartung, daß sich ähnliche Massenbekehrungen wiederholen für biblisch nicht belegbar. In der Apostelgeschichte haben wir weiterhin die Bestätigung des Wortes Gottes, das es 3000 echte Bekehrungen an einem Tag waren.
2. Die Massenversammlungen bei Whitefield, Spurgeon haben nicht diesen Charakter. Weder eine Verheissung noch Bestätigung durch das Wort Gottes. Ich gehe davon aus – aber das ist ausschließlich meine Meinung – das Gott diesen „Aufbruch“ vor allem dazu genutzt hat, um den moralisch-sittlichen Verfall nicht zu schnell vor sich gehen zu lassen.
In den Biographien Whitefields liest man von der großen moralischen Verkommenheit dieser Zeit. Sowohl Großbritannien wie auch die britischen Kolonien erfuhren jedoch durch das was Gott durch die methodistische Erweckung tat, eine moralische Restaurierung.
Eine belegbare Hinwendung zur Kirche ist demnach unbestreitbar, wieviel Menschen jedoch tatsächlich zum Glauben kamen nicht nachvollziehbar (-> Sämann). Ich beurteile es also eher als ein Gnadenhandeln Gottes, um den Tag des Gerichts zu verzögern bzw. die von Ihm bis heute Erwählten noch zu erreichen.
LG
Andreas
johannes
Ich wollte auch nicht sagen, dass die 3000 in Apg. ein Prinzip sind und dass wir auf Massenbekehrungen warten sollen. ich wollte damit eigentlich sagen, dass Gott in seiner Souveränität seine Freie Gnade auch vielen menschen an einem Ort in kürzester Zeit geben kann.
Ich bin mir auch bewusst, dass uns die Bibel keine Erweckung verheißt, aber ich bin dafür offen. Nicht in dem Sinne der charismatischen Bewegung. Es ist vielmehr so, dass wir aus Röm 10,17 Wissen, dass der Glaube aus dem gepredigten Wort kommt. Somit kann ich davon ausgehen, dass wenn viele treue Theologen aufstehen und das Evangelium in Wahrheit verkünden, dann ist es möglich, dass Gott Wiedergeburt schenkt.
Anstatt den Gedanken eine Erweckung zu verwerfen(das möchte ich dir nicht unterstellen.), sollten wir damit rechnen. Vielleicht nicht heute, oder morgen. Aber vielleicht in 100 oder 200 Jahren.
Viel wichtiger ist das wir für eine geistliche Erweckung im Land beten. Und wenn es der Wille Gottes ist, wird er sie schenken.
apologet
Hi Johannes,
Du hast absolut recht: es steht jederzeit in Gottes Souveränität vielen Menschen, an einem Ort und in einem Augenblick gnädig zu sein. Das will ich keineswegs bestreiten aber mir persönlich fehlt schlicht die Grundlage dafür solches zu erwarten.
Was ich auch nicht sehen kann ist, wie im Artikel begründet, für eine „Erweckung“ zu beten.
LG
Andreas
Sebastian Heck
Die einzigen „Verheißungen“, die man anführt für eine „Erweckungserwartung“ sind aus dem heilsgeschichtlichen Zusammenhang gerissene.
Die einzigen Verheißungen, die wir heute haben für Evangelisation und Mission etc. sind die, die verknüpft sind an die gewöhnlichen, „alltäglichen“ Gnadenmittel: die Verkündigung des Evangeliums sowie die Sakramente.
Es läuft immer darauf hinaus, dass wir entweder die „gewöhnlichen“ Gnadenmittel hochhalten, oder dass wir diese für „langweilig“ halten und „besondere Gnadenerweise“ herbeisehnen. In dieser Zeit der Pilgerschaft, in dieser Wüstenzeit der Kirche sind uns solch herrliche Erfahrungen nicht verheißen. Die Bibel eröffnet uns keine „theologia gloriae“ für die Zeit zwischen Pfingsten und der Wiederkunft Christi, sondern eine „theologia crucis“.
Lasst uns den gewöhnlichen Gottesdienst mit den gottgegebenen Gnadenmitteln samt ihrer Verheißungen hochhalten und nicht murren gegen das, was der Herr uns zumutet!