Citoyen und Demokratie oder Bourgeois und Republik?
Es stimmt, wer AfD wählt, bekommt derzeit maximal schwarz-rot, rot-rot-grün, schwarz-grün, oder gar eine Nationale Front. Aber selbst wer noch die CDU wählt, bekommt keine CDU mehr, im Sinne einer tatsächlich bürgerlich-freiheitlichen, republikanischen (Bourgeois) Politik, sondern eine CDU ohne altes Profil. Diese gehäutete, gewendete und geschrumpelte Mitte-Partei, vertritt eine völlig andere Politik, die des gesellschafts-liberalen, demokratischen und gleichgeschalteten Staatsbürgers (Citoyen). B
Begriffe, die des Citoyen und des Bourgeois mögen sich mit Fug und Recht sprachlich aus dem Französischen für „Bürger“ ableiten, inhaltlich liegen zwischen Ihnen jedoch ganze Welten. Der Bourgeois will die alte (Bonner) Republik zurück, als Privatbürger private und wirtschaftliche Autonomie, Freiheit, Selbst- und Mitbestimmung, der Citoyen will den öffentlichen Bürger, der sein Leben ganz am Gemeinwohl orientiert.
Dieser Gegensatz: zwischen Privatinteresse und allgemeinen Interesse, zwischen Freiheit vor dem Staat und totalem Staat, zwischen Republik und Demokratie liegt letztlich allen aktuell drängenden politischen Fragen zu Grunde. Die Wähler, die der Union die Stimme nicht mehr geben, drücken mit der Wahl der AfD nicht lediglich Protest aus. Sie fordern von der Union eine andere Politik.
2 Kommentare
CharlieBrown
„Gleichgeschaltete Staatsbürger“ – sollte man, gerade als Christ, mit solchen historisch belasteten Begriffen nicht etwas vorsichtiger umgehen?
„Der Bourgeois will die alte (Bonner) Republik zurück, als Privatbürger private und wirtschaftliche Autonomie, Freiheit, Selbst- und Mitbestimmung, der Citoyen will den öffentlichen Bürger, der sein Leben ganz am Gemeinwohl orientiert.“ – das scheint mir erstens eine starke Verzerrung/Verklärung der alten BRD zu sein; denn auch diese gründete sich stark auf die Idee des Gemeinwohls (vgl. Z.B. den Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“). Beide Gedanken (Autonomie/Freiheit und Gemeinwohl/Solidarität) sind kennzeichend für die meisten modernen Demokratien und mitnichten ein Gegensatz. Als Christ scheinen sie mir auch beide mit der Bibel kompatibel zu sein, wenn ich mir die Vorschriften des Gesetzes (ein eigenverantwortlicher Bürger, der gleichzeitig das Wohl der Armen im Blick hatte).
Außerdem ist der Begriff des Bourgois nicht wirklich das Gegenstück zum Citoyen, weil im Ersteren auch eine wirtschaftlich privilegierte Stellung mitschwingt.
Ob es AfD-Wähler die im Artikel skizzierte Politik erwarten dürfen, indem sie eine Partei wählen, die rassistisch ist, gegen Muslime und Flüchtlinge hetzt, Antisemiten in ihrer Mitte duldet, es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt usw.usw., glaube ich nicht. (Und mit der Achtung der Autonomie/Freiheit des Individuums ist es bei der AfD auch nicht weit her, spricht doch keine Partei so oft pauschal von dem „Volk“, das angeblich irgendwas will oder nicht will, oder pauschal abwertend „den Flüchtlingen/Muslimen“ etc.) Ich finde es schade und ein schlechtes Zeugnis, wenn bibeltreue Christen diese Partei und ihre Parolen nicht durchschauen.
Andreas
Hallo Anonymus!
Zu dem was „man, gerade als Christ sollte“ oder nicht, äußert sich doch im Regelfall die Schrift oder u. U. das Gesetz. Ich sehe also nicht wo ich unvorsichtig gewesen sein soll. Widerspruch erwarte ich also auf Grundlage der Schrift oder entsprechender Gesetze. Ansonsten räume ich unbeeindruckt ein, dass in der heutigen Zeit vermehrt die Sprachpolizei- wie früher der Blockwart- unterwegs ist. Kümmert mich jedoch nicht. Außerdem wurde der Begriff bereits vor der NS-Zeit benutzt.
Und nö: ich verzerre/verkläre die alte Bundesrepublik (damals von mir bewusst nicht BRD genannt, heute dagegen, in Anlehnung an die DDR sehr wohl 😉) kein bisschen. In der Zeit der 50/60 Jahre lag die Betonung noch mehr auf der Idee der Republik, weniger auf der Demokratie, wenngleich nie ganz so stark wie in den USA. Dort kommt der Begriff der Demokratie noch nicht einmal in der Verfassung vor. In einer Republik wird die Trennung des Privaten vom Öffentlichen betont, in der Demokratie das vermeintliche Gemeinwohl bzw. die Volksherrschaft. Und nochmals nö: das Sozialstaatsprinzip ist ein Kind der 60 Jahre, entstammt nicht mal dem Grundgesetz. Dort steht im Art. 20 lediglich ganz allgemein etwas von einem „sozialen Bundesstaat“. Aber seit den 60ern wächst und wuchert dieses Prinzip wie ein Krebsgeschwür. Ich verweise da gerne auf Alexander Fraser Tytler und Claude-Frédéric Bastiat.
»Eine Demokratie kann nicht als permanente Regierungsform existieren. Sie kann nur solange existieren, bis die Wähler merken, dass sie sich selbst Großzügigkeiten aus der Staatskasse wählen können. Von diesem Augenblick an wird die Mehrheit immer für die Kandidaten stimmen, die die meisten Zuwendungen aus der Staatskasse versprechen. Mit dem Ergebnis, dass eine Demokratie immer aufgrund einer lockeren Finanzpolitik zusammenbricht und ihr immer eine Diktatur folgt.«
— Alexander Fraser Tytler, Lord Woodhouselee (1747–1813)
»Wenn Plündern für eine Gruppe in der Gesellschaft zur Lebensart wird, schafft sie im Laufe der Zeit ein Rechtssystem, welches dies legalisiert und einen Moralkodex, der es glorifiziert.«
— Claude-Frédéric Bastiat (1801-1850)
Das „Gemeinwohl“, ja das ist schon so ein lustiges Wieselwort, wie „sozial“. Es ist Vorsicht geboten, wenn Politiker oder Medien vom „Gemeinwohl“ sprechen, denn die Existenz eines solchen ist eine bloße Behauptung! Es existiert sehr wohl mein Wohl und vermutlich auch Ihr Wohl, aber wer beansprucht mein Wohl, oder gar das von vielen oder allen zu kennen, der lügt. Man ist sich oft genug selbst nicht darüber im Klaren, was das eigene Wohl ist. Wie sollte man dann das Wohl irgendeiner anderen Person kennen? Nur ein Individualwohl kann empirisch nachgewiesen werden, nicht aber das oft von Linken bemühte „Gemeinwohl“. Letzteres kann höchstens nach politischem Belieben konstruiert werden. Anders ausgedrückt: Politiker entscheiden tagesaktuell oder abhängig vom Wählerwunsch, was das „Gemeinwohl“ jeweils sein soll. Das kann heute eine Reichensteuer von 80%, morgen ein Verbot der Zweitwohnung und übermorgen eine endgültige Verstaatlichung des Wohnungsmarktes sein. Ähnliches gilt auch für andere beliebte Begriffe (Gerechtigkeit, Rechte etc.).
Und aus christlicher Sicht? Nichts ist so unchristlich und unbiblisch wie Diebstahl oder erzwungene Solidarität. Der moderne Wohlfahrt- respektive Sozialstaat war und ist ein sozialistisches Projekt diebischer Umverteilung und steht im direkten Widerspruch zu Gottes Geboten (Du sollst nicht stehlen, begehren etc.) . Er zerstört und raubt Eigentum, Innovation und Initiative, sowohl auf persönlicher, wie nationaler Ebene. Bereits vor dem Wohlfahrtsstaat gab es zudem private, kirchliche oder humanistische Wohlfahrt. Allerdings nicht durch staatlichem Zwang.
Die Einführung des Sozial- und Wohlfahrtsstaates durch Bismark war politisch und ideologisch von sozialer Kontrolle motiviert: Erstens um den sozialen Unruhen und dem Sozialismus die Stirn zu bieten, zweitens den bestehenden freiwilligen Sozialversicherungen von Gewerkschaften und kirchlichen Arbeiterverbände die wirtschaftliche Grundlage entziehen zu können und drittens, die Arbeiter an den Staat zu binden. Wie ich darauf komme? Ad fontes: zurück „zu den Quellen“!
„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“
– Otto von Bismarck: Gesammelte Werke; Friedrichsruher Ausgabe, 1924/1935, Band 9, S.195/196
Und zu welchem Zweck?
„Wer eine Pension hat für sein Alter, der ist viel zufriedener und viel leichter zu behandeln als wer darauf keine Aussicht hat. Sehen Sie den Unterschied zwischen einem Privatdiener und einem Hofbedienten an; der letztere wird sich weit mehr bieten lassen; denn er hat Pensionen zu erwarten.“
– Bismarck zu Moritz Busch.
Der Staat hat die privaten Selbsthilfeorganisationen aus machtpolitischen Gründen bewusst verdrängt und zerstört, um damit natürlich gewachsenes, gegenseitiges Vertrauen und Hilfeleistungen zu unterbinden und an deren Stelle eine gigantische, kalte und gefühllose Umverteilungsmaschinerie zu setzen. Um es dann den einen anonym aus der Tasche zu ziehen und den anderen willkürlich anonym in die Tasche zu stecken.
Auch aus geistlicher Sicht war die staatliche Zwangsübernahme des Sozialsystems, der Wohlfahrt also ein Rückschritt bzw. Dammbruch für Säkularisierung, Individualisierung bzw. Vereinzelung der Gesellschaft.
Am 12. April wurde im „Personality and Social Psychology Bulletin“ Der Aufsatz „Religion as an Exchange System: The Interchangeability of God and Government in a Provider Role“ („Religion als Austauschsystem: Die Austauschbarkeit von Gott und Staat in der Fürsorgerfunktion“) veröffentlicht. Was die Autoren dabei herausstellen, ist die Art und Weise, in der ein Staat traditionelle gemeinschaftliche Institutionen unterhöhlt (der Aufsatz selbst ist leider kostenpflichtig, aber hier eine Rezension darüber). Die Kirche war über Jahrhunderte eines der wichtigsten nachbarschaftlichen Sicherheitsnetze. Aber diese warmen, persönlichen Institutionen werden ersetzt durch kalte Staatsprogramme. Menschen werden behandelt wie Nummern, nicht wie Nachbarn. Menschen bekommen keine Hilfe durch die Wohltätigkeit anderer, sondern durch erzwungene Umverteilung von Wohlstand.
Zur Begrifflichkeit „soziale Marktwirtschaft“ empfehle ich ein Wortstudium bei Ludwig Erhard. Der hält nämlich den freien Markt an sich für sozial bzw. das vorgesetzte Attribut „sozial“ vor „Marktwirtschaft, für einen Pleonasmus. Gibt es reihenweise gute Zitate.
Zum Begriff des Bourgois: ich habe die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Autonomie betont, wenn auch nicht weiter ausgeführt. Aber das es dabei primär um eine wirtschaftlich privilegierte Stellung ging oder geht, bestreite ich. Vielmehr geht es bei finanzieller Freiheit um persönliche Freiheit. Die Freiheit selbstbestimmte Entscheidungen, unabhängig eines imaginären Gemeinwohls, einer „demokratischen Mehrheit“ oder Staates zu treffen.
Und zum Thema AfD nur soviel: Ich stehe dieser als Libertärer inhaltlich sehr kritisch gegenüber und habe keinerlei Interesse daran diese zu verteidigen, allerdings halte ich solche Vorwürfe für nicht zutreffend oder zielführend. Auf einzelne Mitglieder bzw. Gruppen innerhalb der Partei oder Anhänger mag insbesondere der Vorwurf eines auf die Nation bezogenen Sozialismus zutreffen. Allerdings gibt es vergleichbare widerwärtige Auswüchse auch bei den international ausgerichteten Sozialisten, sprich den Grünen, der SPD, den Linken und auch Teilen der CDU. Ich empfehle dazu gerne die Analysen von Dr. Patzelt.