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Der „Staat“ in Römer 13

In den letzten Jahren (Corona-Politik, Gottesdienstbeschränkungen/-verbote) ist die 𝗕𝗲𝘇𝗶𝗲𝗵𝘂𝗻𝗴 𝘇𝘄𝗶𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻 𝗞𝗶𝗿𝗰𝗵𝗲 𝘂𝗻𝗱 𝗦𝘁𝗮𝗮𝘁 (ungewollt) neu in das Bewusstsein vieler Gemeinden und Gläubigen gerückt worden. Wie bei allen Themen, gelangen Gemeinden und Gläubige auch hier zu unterschiedlichen Auslegungen der Bibel. Mehrheitlich wird eine Position vertreten, in der sich die Gemeinde »dem Staat« in allem (außer dieser verleitet direkt zur Sünde; Apg5:29) unterzuordnen hat. Lediglich eine Minderheit gelangt zu einer anderen Ansicht.

Die verschiedenen Auslegungen gehen natürlich primär auf unterschiedliche Schriftverständnisse (siehe Artikel/Link zu Römer 13; 1Petr2; Titus3 etc) diesbezüglicher Schriftstellen zurück. Beim Thema »Staat« jedoch nicht weniger auf eingefahrene Denkschemata und Fehlschlüsse. In den meisten deutschen Übersetzungen ist Römer 13 mit Begrifflichkeiten wie »Staat« bzw. »Obrigkeit« überschrieben. Dies sind zum einen redaktionelle Einfügungen, die zweitens unmittelbar einem konkreten Vorverständnis bzw. mehr oder weniger akkuraten Hintergrundinformationen entstammen und damit maßgeblichen Einfluss auf die Auslegung besitzen.

Was der antike und moderne Mensch jeweils unter dem griechischen Begriff »exousiais« (Autorität, Gerichtsbarkeit, Herrscher, Kontrolle, Macht), übersetzt mit »staatliche Mächte« oder »Obrigkeit« versteht, unterscheidet sich grundlegend.

Neben weiteren Aspekten (Aufgabe, Legitimität, Begrenzungen etc.) nimmt das Vorverständnis darüber, was Staatlichkeit ausmacht, entscheidenden Einfluss darauf, wie sich das konkrete Verhältnis zwischen Staat und Kirche ausgestaltet bzw. inwieweit, wem und wie tatsächlich Unterordnung geschuldet wird. Der mit »exousiais« verbundene Begriff »hyperechousais« (unterstellt, kontrolliert, regiert) wird im neutestamentlichen Zusammenhang allgemein als eine freiwillige Unterordnung verstanden.

Kein »Staat« in Antike und Mittelalter?

Die unterschiedslose Anwendung des Begriffs/Konzepts »Staat« – mit seinen normativen Implikationen – als anachronistischen Allgemeinbegriff für alle Zeiten und Völker bspw. beim »antiken Staat der Griechen und Römer« als politische Ordnungsvorstellung der Weltgeschichte überhaupt, ist ein Fehlschluss.

Eine durchaus zeitgebundene, geschichtlich bedingte, konkrete und spezifische Organisationsform der politischen Einheit verliert auf diese Weise ihren geschichtlichen Ort und ihren typischen Inhalt; sie wird in irreführender Abstraktheit auf gänzlich verschiedenen Zeiten und Völker übertragen und in völlig andersartige Gebilde und Organisationen hineinprojiziert.

Passender wären Begriffe wie „Gesellschaft“, „Kultur“, „polis“, „res publica“ oder „Gemeinwesen“. In neuerer Zeit beginnt sich der Begriff »Governance« und ein flexibleres Verständnis durchzusetzen.

Carl Schmitt

Die antike Ausprägung von »Staatlichkeit« bzw. »Governance«, war ein komplexes Geflecht dezentraler, abgestufter, miteinander verbundener sozialer Gruppen und Autoritäten, die sich selbst verwaltet, teilweise in Konkurrenz zueinander standen und eine eigene Rechtsprechung („von Pontius zu Pilatus“) besaßen [1]. Es existiert keine einheitliche Organisation, Tributregelung oder gar Bürokratie. In der historischen Fachwelt ist dabei umstritten, ob es sich bspw. bei dem Imperium Romanum überhaupt um einen Staat gehandelt hat, da die wesentlichen Aspekte moderner europäischer Staatlichkeit bis ins Spätmittelalter selbst in Ansätzen fehlten und das Römische Reich eher als weit ausgedehnte Stadt (polis) zu betrachten ist. Mit einem derartigen Staatsverständnis schreibt Paulus an die Gläubigen in Rom.

Bei dem modernen Staat, der uns erst ab 1800 begegnet, handelt es sich um etwas völlig anderes. Er existiert zwar durchaus in unterschiedlichen Ausprägungen, jedoch stets als zentral organisierter Territorialstaat (siehe auch »Staatsgebiet“ bei Wiki) bzw. als „territoriales Zwangs- und Gewaltmonopol – einer Behörde, die eine kontinuierliche, institutionalisierte Enteignung von Eigentum und Ausbeutung – in Form von Besteuerung und Regulierung – von allen sich auf dem beherrschten Territorium befindlichen Personen“ (siehe Prof. Dr. H.H. Hoppe), betreibt [2].

Unstrittig ist, dass es zwar nicht den »Staat« im modernen Sinn, wohl aber eine funktionierende Organisation der Gesellschaft gegeben, ein funktionelles Äquivalent zum modernen Staates existierte.

Paulus setzt in dem Abschnitt des Römerbriefes offensichtlich eine solches Staatsverständnis voraus. Er bezeichnet, von der Autorität des Familienhaushalts und der Kirche abgegrenzte, zivile Autoritäten als »theou diakonos«, als Dienerin Gottes, die mit einer klar definierten, limitierten Aufgabe (Mandat) betraut sind: dem Schwert bzw. der Bestrafung der Bösen. Wie bereits im Begriff »exousiais« anklingt, geht es dabei primär um die Gerichtsbarkeit/Justiz. Dem antiken Staatsverständnis ist dabei jedoch ein territoriales Gewaltmonopol ebenso fremd, wie unbedingter Gehorsam. Paulus gerät an diversen Stellen in Kontakt oder gar Konflikt mit verschiedenen zivilen Autoritäten, ordnet sich diesen in vielen Fällen freiwillig unter, nutzt manchmal dessen Autorität, dort wo ihm dies nutzt, widersetzt sich jedoch auch sogar einer Verhaftung (1Kor11:32-33).

Der moderne Staat steht damit in diverser Hinsicht im 𝗪𝗶𝗱𝗲𝗿𝘀𝗽𝗿𝘂𝗰𝗵 𝘇𝘂 𝗚𝗼𝘁𝘁𝗲𝘀 𝗢𝗿𝗱𝗶𝗻𝗮𝘁𝗶𝗼𝗻/𝗕𝗲𝗮𝘂𝗳𝘁𝗿𝗮𝗴𝘂𝗻𝗴. Insbesondere, weil er sein göttliches Mandat nicht erfüllt bzw. über dieses hinaus Autorität ausübt, muss er letztlich als illegitim bewertet werden. Denn Gott legitimiert in Römer 13 ausschließlich das »Schwert« in der Hand ziviler Autoritäten: begrenzt das Mandat auf die Bestrafung von Verbrechern und Wiedergutmachung für deren Opfer durchzusetzen. »Staatlichkeit« umfasst ausschließlich und konkret, die Beauftragung einer Ziviljustiz zur Beilegung von Konflikten unter Menschen, die Leib, Leben oder das Eigentum von Personen betrifft (einschließlich der Regeln und der Durchsetzung, die mit diesbezüglichen Entscheidung einhergehen; bspw. BGB, Strafrecht etc.).

Wenn es also um das konkrete Verhältnis zwischen Staat und Kirche geht und sich Gläubige oder Gemeinden in anderen Fragen als das »Schwert« betreffend dem „Staat“ unterordnen, dienen sie nicht Gott, sondern dem Leviathan, einem Götzen.


[1] Das Römische Reich hat in seiner historischen Entwicklung

  • den Herrschafts- und Bürgerbereich der Stadt Rom weit ausgedehnt (=ausgedehnte Stadt) und ist grob in drei Verwaltungsbereiche einzuteilen, die Stadt Rom, die italienischen Teile des Reiches und die Provinzen
  • kein Territorialstaat, sondern alle Herrschaft war an die Kontakte (staatliche Regulierungsträger der mittleren, provinzialen (Statthalter, Gouverneur) und der unteren, lokalen Ebene (Bürgermeister, Stadträte etc.) und Konflikte seiner Oberschicht zurückgebunden.
  • primär in kleinräumigen städtischen Einheiten segmentiert, regierte sich die bürgerliche Gemeinschaft gemäß der antiken Staatsvorstellung unmittelbar selbst. Bürger Roms (z.B. Paulus) bestimmten und ordneten die gemeinsamen Angelegenheiten selbst.
  • Die Bürgergemeinschaft war uneingeschränkt souverän, nach innen und nach außen. Wählte unmittelbar Magistrate, die die Verwaltung der Gemeinde übernahmen und regelte Rechtsangelegenheiten im Rahmen der römischen Privatautonomie (patria potestas) und drüber hinaus, bei wichtigen Entscheidungen in einem Rat (consiliums) bestehend aus Familienmitgliedern und Gleichgestellten.
  • Das römische Staatswesen hat keine eigenständige Staatlichkeit ausgebildet. Vieles, selbst die öffentliche Ordnung, wurde ohne Bürokratie oder Polizei von der Gemeinschaft selbst geregelt.
  • keine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, die sogenannte römische face to face Demokratie . Eine Politik der Gemeinschaft zur Regelung der eigenen Angelegenheiten in der Stadt in Abfolge von Balanceakten zwischen Partikularinteressen.

[2] „Ein Staat ist ein territoriales Zwangsmonopol – eine Behörde, die eine kontinuierliche, institutionalisierte Enteignung von Eigentum und die Ausbeutung – in Form von Besteuerung und Regulierung – von Privateigentümern betreiben kann. Geht man davon aus, dass die staatlichen Akteure lediglich ein Eigeninteresse haben, so ist in allen Staaten eine Tendenz zur verstärkten Ausbeutung zu erwarten. Auf der einen Seite bedeutet dies eine verstärkte Ausbeutung im Inland (und interne Besteuerung), auf der anderen Seite bedeutet es eine territoriale Expansion. Staaten werden immer versuchen, ihre Ausbeutung und ihre Steuerbasis zu erweitern. Dabei werden sie jedoch in Konflikt mit anderen, konkurrierenden Staaten geraten. Der Wettbewerb zwischen Staaten um territoriale Zwangsmonopole ist seinem Wesen nach ein Ausschließungswettbewerb (d.h. es kann nur einen Monopolisten für Ausbeutung und Besteuerung in einem bestimmten Gebiet geben).“- Hans-Hermann Hoppe, Zusammenfassung von: „Small is Beautiful and Efficient: Das Plädoyer für die Sezession“