Theologie

Apostel, Aufgaben und Kriterien

Wenn auf der einen Seite die Frage nach der Existenz einer historischen weiblichen Apostelin Junia gestellt wird, muß man heute auch die Frage nach einem modernen Apostolat stellen. Verschiedene Aussagen der neutestamentlichen Briefe werden zur Legitimierung und Reklamation der Dienstgaben des Apostels oder Propheten auch für die heutige Zeit herangezogen. Dabei wird übersehen, daß sowohl Christus selbst, wie auch die Schreiber der neutestamentlichen Schriften, in erster Linie in konkrete historische Situationen hinein, konkrete Gemeinden und Personen auf unmittelbare Anlässe hin ansprachen bzw. eine einmalige und unvergleichliche Situation vorhanden war. Die Geschichte der Apostel und der Zeitabschnitt der Gemeindegründung wird nun oft im Widerspruch  zur Schrift, der Geschichte der Christen und der Kirche allgemein erklärt und durch die Hintertür eine Art freikirchliche „apostolische Sukzession“ (Amtsnachfolge der Apostel) respektive Apostelgeschichte “unlimited” gelehrt.

Markus 3,14 Und er ordnete die Zwölf, daß sie bei ihm sein sollten und daß er sie aussendete, zu predigen,15 und daß sie Macht hätten, die Seuchen zu heilen und die Teufel auszutreiben.

Allgemein
Ein „apostolos“ ist ein spezieller Gesandter seines Auftraggebers. Der Gesandte ist wie der Sendende „voll autorisiert“ und bevollmächtigt, in dessen Namen aufzutreten. Er ist solange beauftragt wie sein Auftrag dauert. Daraus folgt, daß ein Gesandter eine temporäre Funktion hat, welche erlischt, wenn der Auftrag ausgeführt ist. Andere Knechte oder Bedienstete desselben Herrn, besitzen nicht dieselbe Autorität. Auch das AT verwendet diesen Begriff. In der Septuaginta wird das hebr. Wort “schalach” um die 700 mal mit “apostello” bzw. dem Substantiv “apostolos” übersetzt.

Der Apostel des Vaters
Jesus Christus! Er ist – Inbegriff und Archetyp eines Apostels – vom Vater gesandt (Joh20,21). Wer ihn sieht, sieht den Vater (Hebr3,1; Joh17,18). Nach ihm kommt kein weiterer Gesandter, der eine neue, von Gott ermächtigte Botschaft bringen könnte (Hebr1,1.2a; Joh14,6; Apg4,12; Gal1,6-8).

Die Apostel Jesu
Die Zwölf! Auch „Apostel des Lammes“ wurden von Christus persönlich ernannt (Matth10,1ff) haben einen herausragenden Auftrag (2Kor3,6) und besondere Verheißung (Lk22,28-30), der über die Zeit hinaus dauert. Sie mußten:

  • Jesus unmittelbar persönlich gekannt haben und
  • ein verläßliches Zeugnis der Auferstehung geben können, also Augenzeugen sein. (Apg1,21ff; Matth19,28; Offb21,14)

Apostel außer Kategorie
Paulus! Zwar keiner der zwölf Apostel, aber auch Augenzeuge des auferstandenen, erhöhten Herrn. Er nennt sich selbst eine „unzeitige Geburt“ (1Kor15,8). Paulus war ein besonders beauftragter Apostel (Röm1,1-7), welcher mehr Briefe des NT als jeder andere schrieb und das Wort Gottes mit zur Vervollständigung brachte (Kol1,25ff).

Weitere bzw. allgemeine Apostel
Als weitere Apostel werden Barnabas (Apg14,14; Gal2,1.9.13), Jakobus (der Bruder des Herrn) (Gal1,19), und evtl. Silvanus (2Kor 1,19f; 1Thess1,1; 2Thess1,1) genannt. Aus 1Kor9,5 könnte auf weitere, nicht genannte Apostel geschlossen werden. Diese gehörten nicht zu den Zwölf Aposteln, welche Jesus zu seinen irdischen Lebzeiten ernannt hat, erfüllten nicht deren “Apostelvoraussetzungen”, waren jedoch Augenzeugen des auferstandenen Herrn (1Kor15,5f) und mit der Gründung der Gemeinde beauftragt. In einem weiteren, eher allgemeinen Sinn, wird das Wort „Apostel“ auch für Abgesandte von Gemeinden gebraucht, welche eine Liebesgabe überbringen oder eine andere, bestimmte Sendung empfangen haben (Phil.2,25).

Falsche Apostel
Apostel, die sich selbst so bezeichnen, aber nicht sind. (Offb2,2; 2Kor11,13).

Besteht schon in den Evangelien und der Apostelgeschichte ein erkennbarer Unterschied zwischen Aposteln und anderen Jüngern bzw. Gläubigen, wird dieser in den Lehrbriefen weiter deutlich. Calvin führt dies in seiner Institutio weiter aus:

Jetzt sind wir uns darüber klar, welche Ämter im Kirchenregiment mit zeitlich begrenzter Gültigkeit bestanden haben und welche dazu eingerichtet sind, immerfort bestehen zu bleiben, wenn wir nun die Evangelisten mit den Aposteln verbinden, so bleiben uns je zwei gleichartige Ämter übrig, die sich untereinander gewissermaßen entsprechen. Denn die gleiche Ähnlichkeit, die unsere (heutigen) Lehrer mit den früheren Propheten haben, besteht auch zwischen den Hirten (Pastoren) und den Aposteln. Das Amt der Propheten war hervorragender (als das unserer Lehrer), und zwar wegen der besonderen Gabe der Offenbarung, die den Propheten zuteil geworden war. Aber das Amt der Lehrer hat doch fast die gleiche Art und durchaus den gleichen Zweck. Ebenso hatten auch jene Zwölf, die der Herr auserwählte, um die neue Predigt des Evangeliums der Welt bekanntzumachen, an Rang und würde einen höheren Platz als die übrigen (Luk. 6,13; Gal. 1,1). Allerdings können auf Grund der Bedeutung und der sprachlichen Wurzel des Wortes alle Diener der Kirche regelrecht als „Apostel“ bezeichnet werden; denn sie werden ja alle von dem Herrn ausgesandt und sind seine Boten. Aber weil eben doch viel darauf ankam, daß man von der Sendung derer, die eine solch neue, unerhörte Sache vorbringen sollten, eine sichere Kenntnis hatte, so war es nötig, daß jene Zwölf, zu deren Zahl später noch Paulus hinzukam, vor allen anderen mit einem besonderen Titel ausgezeichnet wurden. Freilich gibt Paulus selbst diesen Namen an einer Stelle (Röm. 16,7) dem Andronikus und dem Junias, von denen er sagt, sie seien unter den Aposteln „berühmt“ gewesen, wenn er aber im eigentlichen Sinne sprechen will, dann bezieht er diesen Namen („Apostel“) allein auf den ursprünglichen Rang. Das ist auch der allgemeine Gebrauch der Schrift (Matth. 10,1).

Trotzdem (d.h. trotz der unübertragbaren Besonderheit der Apostel) haben die Hirten (Pastoren) die gleiche Amtsaufgabe wie die Apostel – nur daß jeder einzelne von ihnen eine bestimmte, ihm zugewiesene Kirche leitet, wie die Amtsaufgabe der Pastoren nun beschaffen ist, das wollen wir noch deutlicher hören. Institutio IV,3,5

Als bleibende Ämter betrachtet er neben Hirten und Lehrern also Älteste und Diakone. Ihnen teilt er folgende Aufgaben zu:

  • Hirten (= Pastoren)
    Evangeliumsverkündigung, Sakramentsverwaltung und Gemeindezucht („persönliche Ermahnungen“) – in Entsprechung zum Dienst der Apostel und Evangelisten;
  • Lehrer (= Doktoren)
    Schriftauslegung und Lehre – in Entsprechung zum Dienst der Propheten;
  • Älteste (= Presbyter) oder „Regierer“
    Gemeindeleitung und Gemeindezucht;
  • Diakone
    Kranken- und Armenfürsorge und Verwaltung dieser Fürsorge.

Aufgabe der Apostel

  • haben die Gemeinde gegründet (Matth16,18), den Grund (Eph2,19), das Fundament gelegt (1Kor3,10)
  • haben das verborgene Geheimnis Christi offenbart (Joh16,11ff; Eph3,1-5)
  • haben die prophetische Schrift abgeschlossen (Röm16,25ff; Kol,1,25ffHebr6,1; Hebr1,1; Jud1,3)

Kriterien

  • Apostel wurden von Christus persönlich ernannt (Luk6,13; Joh20,21; 1Kor1,1; Gal1,1), entweder irdisch durch Jesus oder durch den verherrlichten Christus (Apg9,3ff)
  • waren Augen- und Zeitzeugen (Apg1,21ff; Apg4,33; 2Petr1,16ff; 1Kor 9,1; 1Kor15,6ff; 1Joh1,1-3[49])
  • hatten absolute Lehrautorität (1Thes2,13; Apg2,42)
  • haben “Zeichen & Wunder” gewirkt als Beleg echter Apostelschaft (Apg2,43; 2Kor,12,12; Heb2,3ff)
  • waren dem Tode übergeben (1.Kor 4,9ff) starben fast alle als Märtyrer
  • wurde damals schon zwischen Aposteln und anderen, zum Teil führenden Christen (Apg1,11; 15,2.4.6.22.23) unterschieden

Fazit
Wie die frühe Kirchengeschichte zeigt, wurde das Amt der Apostel dann auch nicht wie andere Ämter (Älteste/Bischöfe, Diakone, Hirten/Lehrer) fortgeführt, sondern war mit dem Märtyrertod dieser unmittelbaren Augenzeugen Jesu beendet. Gleiches gilt für die Propheten. Diese Ämter waren und sind schlicht nicht mehr erforderlich, da ein anderer, neuer Grund, eine neue Offenbarung durch neue Apostel und Propheten nicht mehr gelegt werden kann (1. Kor 3,10ff)! Der Auftrag wurde bereits vor langer Zeit erfüllt.

Die Apostel haben in den entstandenen Gemeinden dann auch folgerichtig keine neuen Apostel und Propheten, sondern Älteste berufen und eingesetzt (Titus1,5; Apg 14,23 etc.). Auf dem gelegten Fundament haben in der Folge die Ältesten als Hirten und Lehrer das Werk der Apostel fortgebaut. Deren Lehre hat und wird sich im Feuer Gottes als “bleibend” oder “vergänglich” erweisen.

Auch hier ist die unmittelbare Aussage des Textes eine etwas andere, als die allgemein gelehrte Interpretation, die sich auf den Glauben und die Werke des einzelnen Gläubigen bezieht. Hier werden – aus dem Kontext ersichtlich – konkret Lehrer angesprochen, die entweder mit dem “Gold und Silber” (Off 3,18) des Herrn, oder aber mit menschlichem “Holz und Stroh” gebaut haben.

Zwar gab und gibt immer wieder Personen die für sich diese Ämter reklamierten, vereinzelte Personen dessen Dienst in Teilbereichen demjenigen der Apostel sehr nahe kam, aber niemanden, der dieses Amt dem Zeugnis der Schrift nach tatsächlich in Anspruch nehmen konnte oder kann! Und deshalb ist das Amt der Apostel nach meinem Verständnis mit der ersten Generation, der unmittelbaren Zeitzeugen des Herrn erloschen.

Heute werden weiterhin – wie im ersten Jahrhundert – immer noch „Gemeindegründer“ gebraucht. Jedoch nennen wir diese, nicht ohne Grund „Missionare“, welches lateinisch auch für „Gesandter“ bzw. den griechischen Begriff „Apostel“ steht. Jedoch verbindet sich mit dieser Bezeichnung weder das Amt noch die Autorität der Apostel.
sdg
apologet

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