Allgemein

Öffentliche Kritik an Predigten?

Öffentliche Kritik, an öffentlichen Äußerungen allgemein, insbesondere aber an Predigten oder sonstigen geistlichen Veröffentlichungen wird selten goutiert, schnell als „richten“ gebrandmarkt. Belesene Geschwister verweisen auf Mt7 und warnen davor zu richten, oder auf Mt18 und fordern eine nichtöffentliche Aussprache. Im Extremfall wird sogar Ps105,15 zitiert: »Tastet meine Gesalbten nicht an, und tut meinen Propheten kein Leid!«. Ist es im engeren Rahmen z.B. der eigenen Gemeinde durchaus möglich und angebracht seine Kritik persönlich vorzubringen, wird dies schwierig bis praktisch unmöglich, wenn es sich um Personen handelt, zu denen man keinen unmittelbaren Zugang besitzt bspw. Personen des öffentlichen Lebens. Stellt öffentliche Kritik in Wort oder Schrift tatsächlich ein schriftwidriges Vorgehen dar?

Ich meine: keinesfalls! Diese ist sogar absolut notwendig und angebracht, insbesondere wenn es sich um um geistliche Lehrfragen, das Evangelium handelt. Der Galaterbrief berichtet von einer Situation, in der ein Apostel den anderen öffentlich korrigiert und zurechtweist:

Doch als Petrus dann nach Antiochia kam, sah ich mich gezwungen*, ihn vor der ganzen Gemeinde zur Rede zu stellen; denn so, wie er sich dort verhielt, sprach er sich selbst das Urteil*.  Zunächst hatte er zusammen mit den nichtjüdischen ´Geschwistern` an den gemeinsamen Mahlzeiten teilgenommen. Als dann aber einige Leute aus dem Kreis um Jakobus* kamen, zog sich Petrus aus Angst vor den Verfechtern der Beschneidung zurück* und sonderte sich ´von den Nichtjuden` ab.  Und genauso unaufrichtig verhielten sich in der Folge die anderen jüdischen ´Geschwister`. Sogar Barnabas ließ sich dazu hinreißen, dieses heuchlerische Spiel mitzumachen.  Als ich nun sah, dass sie den richtigen Weg verlassen hatten, den Weg, der mit der Wahrheit des Evangeliums übereinstimmt, sagte ich in Gegenwart aller zu Petrus: „Du selbst nimmst dir – obwohl du ein Jude bist – die Freiheit, dich über die jüdische Lebensweise hinwegzusetzen und wie ein Nichtjude zu leben. Wieso zwingst du dann die Nichtjuden, sich der jüdischen Lebensweise anzupassen?“* Gal2, 1-14

Was war passiert? Nachdem Petrus eindrucksvoll durch Gott daran erinnert wurde (Mk7) was Christus ihn und die Zwölf gelehrt hatte – alle Speise ist rein (Apg10), die Unterscheidung zwischen Israel und den Heiden aufgehoben –  ist er aus Rücksicht oder Furcht vor der Meinung anderer, in überkommene jüdische Gewohnheiten zurückgefallen. Seine Absonderung von den Heidenchristen begann die Gemeinde lehrmäßig zu verwirren und die Gefahr einer Spaltung herauf zu beschwören.

Die Kritik des Paulus war also nicht nur einfach theoretisch richtig sondern praktisch unbedingt notwendig. Es hätte zudem nicht gereicht, wenn er sich zu Petrus begeben hätte um diesen unter vier Augen zu korrigieren. Das öffentliche Auftreten und Verhalten des Apostel Petrus machte eine öffentliche Korrektur und Kritik unerlässlich! Kritik (krinein) bedeutet zunächst keineswegs zu richten, vielmehr zu sichten, zu unterscheiden, zu prüfen; erst später: sich ein Urteil bilden, ein Urteil fällen. Dieses Beispiel ist nicht ohne Grund in der Schrift überliefert.

Es muss hier der Satz gewagt werden, dass die Schrift wesentlich dem Predigtamt zugehört, der Gemeinde aber die Predigt. Die Schrift will ausgelegt und gepredigt sein. Sie ist ihrem Wesen nach nicht ein Erbauungsbuch der Gemeinde. Der ausgelegte Predigttext gehört der Gemeinde und von ihm aus gibt es ein:»Suchen in der Schrift, ob es sich also verhält«, (Akta 17) wie die Predigt es verkündigt hat, gibt es also im Grenzfall die Notwendigkeit des Widerspruchs gegen die Predigt aufgrund der Heiligen Schrift. D. Bonhoeffer

Das Beispiel der Zurechtweisung des Apostel Petrus läßt klare geistliche Prinzipen deutlich werden. Auch wenn  Lehrer von Gott begabt werden die Gemeinde auszurüsten und zur Mannesreife im Glauben zu führen (Eph4), ist die Gemeinde insgesamt gefordert die Lehre derjenigen zu prüfen, die als Lehrer auftreten.

Eine diesbezügliche Kritik unterliegt jedoch zum einen grundsätzlichen Ansprüchen des geschwisterlichen Umgangs (1Kor13) sowie einer allgemeinen Fairniss im Hinblick auf die Art und Weise der Kritik. Pastor Dr. Wolfgang Nestvogel berichtet beispielsweise in einem Vortrag von seiner öffentlichen Kritik an Pfarrer Ulrich Parzany (hier). Wichtig sei ihm gewesen, diesen persönlich über seine theologischen Anfragen in Kenntnis zu setzen. Auch Paulus redete nicht über Petrus, sondern widersprach diesem zwar öffentlich aber auch persönlich. Weiterhin besteht die Notwendigkeit, das der Anlaß der Kritik berechtigt ist.

Weise jede Anschuldigung gegen einen Ältesten zurück, es sei denn, zwei oder drei Zeugen bestätigen die Richtigkeit der Anklage.20 Doch wenn sich ein Ältester tatsächlich etwas zuschulden kommen lässt, dann weise ihn vor der ganzen Gemeinde zurecht, damit alle ein warnendes Beispiel vor Augen haben. 21 Ich ermahne dich eindringlich vor Gott, vor Jesus Christus und vor den auserwählten Engeln: Befolge diese Anweisungen unvoreingenommen und ohne jemand zu begünstigen! 1Tim5, 19-21

Paulus hat sich sicher nicht leicht getan mit seiner Kritik an dem Apostel Petrus, hat nicht zurückgesteckt weil dies einer der Zwölf gewesen ist. Er hat ihm sogar hart zugesetzt und für alle bis heute nachlesbar Heuchelei vorgeworfen, sogar den Weg des Evangeliums verlassen, andere dazu angeleitet zu haben. Aber er hat ihn nicht beleidigt, in Mißkredit gebracht sondern theologisch argumentiert. Dies bedeutet für uns heute, das auch wir uns nicht von irgendwelchen Ämtern oder menschlicher Größe beeindrucken lassen sollen. Hierin gilt, daß es keinen Unterschied mehr gibt, es ein allegemeines Priestertum gibt, keinen Unterschied zwischen Klerus und Laien.

In der heutigen Zeit kann es einem jedoch mit unter sogar geschehen, daß zu juristische Mitteln gegriffen wird. Derzeit ist die Rechtsprechung noch eindeutig zugunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung orientiert.

Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für „falsch” oder für „ungerecht” halten. Auch die Form der Meinungsäußerung unterliegt der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden. Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung; eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen stellt, ist mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Für die Beurteilung der Reichweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kommt es ferner maßgeblich darauf an, ob und in welchem Ausmaß der von den Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfs unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat. Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, hat die Äußerung – auch wenn sie eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betrifft – regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten (vgl. BGH NJW 2007, 686, 688 m. w. Nachw.). LG Berlin Az: 24 O 1269/08

Wenn der Meinungäußerung des Kritikers also inhaltlich widersprochen wird, ist das völlig korrekt, jedoch besteht kein Recht, weder aus geistlicher, noch jurstischer oder allgemein üblicher Hinsicht anderen den Mund, die Unterscheidung zu verbieten.

sdg
apologet