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Artikelreihe – Diakonie bei Calvin

calvin artikelserieHeiter und frohen Herzens – Die Diakonie bei Calvin
von Pastor Dr. Bartolt Haase
Boldelschwingsche Anstalten Bethel

Johannes Calvin war ein Flüchtling, als er 1536 zum ersten Mal nach Genf kam. Als Protestant konnte er in seinem Heimatland Frankreich nicht mehr sicher leben. Die südliche Schweiz, insbesondere die Stadt Genf, wurde damals von vielen Anhängern der Reformation aus Frankreich als Zufluchtsort gewählt. Sie alle wollten in Genf eine Unterkunft finden, genug zu Essen und eine Arbeitsstelle haben.

Schon bald beklagten sich Genfer Bürger über die vielen fremden Menschen in ihrer Stadt. Sie fürchteten um ihre eigenen Arbeitsplätze und sahen die soziale Ordnung in Gefahr. In ihrer Sorge stellten sie Johannes Calvin eine heikle Frage: sie wollten wissen, ob ein Flüchtling denn auch im biblischen Sinn „ein Nächster“ ist, den man entsprechend behandeln und diakonisch unterstützen muss. Calvin beantwortete diese Frage zum Ärger vieler Genfer Bürger mit einem klaren „Ja!“.

Diese Entscheidung belegt, dass Johannes Calvin wie kein anderer Reformator auf das praktische Handeln eines Christen drängt. Christlich zu leben heißt Gott mit ganzem Herzen zu ehren und ihm zu dienen. Das ist Calvins Grundüberzeugung.

Dieser Dienst geschieht nicht nur in Predigt und Gebet, sondern in gleichwertiger Form durch diakonisches Handeln, also durch die Unterstützung und Begleitung Not leidender Menschen.

Die größte soziale Herausforderung in Genf bestand zur Zeit Calvins darin, die wachsende Armut in der Bevölkerung zu bekämpfen. Nach mittelalterlichen Strukturen gab es dazu Almosen und Hilfe in Klöstern. Dieses System zerbrach mit der Reformation.

Der Gedanke, sich durch Almosen bei Gott beliebt zu machen und durch gute Werke Verdienste zu sammeln, war allen Reformatoren fremd. Viele Klosteranlagen in evangelischen Ländern wurden infolge dessen geschlossen. Die Kranken- und Armenversorgung musste neu geregelt werden.

Für die deutschen Gebiete war dazu der Ansatz Martin Luthers prägend. So waren die Landesherren durch die Entwicklungen der Reformationsjahre zu Oberhäuptern ihrer evangelischen Landeskirchen ernannt worden. In dieser Doppelrolle als Staats- und Kirchenoberhäupter nahm Luther sie in die Pflicht, die diakonische Aufgabe als gemeinsame Aufgabe von Staat und Kirche wahrzunehmen.

Eine solche Struktur war für Johannes Calvin in Genf unvorstellbar. Für ihn gehörte es zum Kernauftrag einer jeden christlichen Gemeinde, armen und Not leidenden Menschen zu helfen. Deshalb sollte die diakonische Arbeit strukturell in das Gemeindeleben eingebunden werden. Dazu führte Johannes Calvin schon in der Kirchenordnung von 1541 das Amt des Diakons als leitendem kirchlichem Amtsträger ein. Gleichberechtigt mit Predigern, Kirchenältesten und theologischen Lehrern ist der Diakon nach dieser Ordnung für die Leitung der Gemeinde verantwortlich. Er hat also dafür zu sorgen, dass der diakonische Auftrag der Gemeinde erfüllt wird.

Johannes Calvin möchte mit dieser Stärkung des Diakonenamtes der in der Kirchengeschichte an vielen Stellen wahrzunehmenden Tendenz begegnen, die diakonische Aufgabe den Tätigkeiten des Predigers bzw. Priesters unterzuordnen.

Durch Calvins Ansatz wird Diakonie aufgewertet und professionalisiert. Das bedeutet nicht, dass der Diakon die ganze diakonische Arbeit allein zu machen hat. Vielmehr ist er dafür da, die Menschen in der Gemeinde zum Mitmachen und Mithelfen einzuladen. Erst durch das Engagement vieler Menschen wird die von Calvin erdachte Struktur mit Leben gefüllt. So möchte der Genfer Reformator vor allem eins: Menschen sollen sich über persönliche und gesellschaftliche Grenzen hinweg diakonisch begegnen und füreinander da sein, so wie Gott voller Liebe und Zuwendung für die Menschen da ist. Diakonisch zu leben und zu handeln ist für Calvin also die beste Möglichkeit, Gott für das Geschenk seiner Nähe und Liebe zu danken und ihn zu ehren. Aus Dankbarkeit für andere Menschen da sein – das ist der diakonische Auftrag, der nach Calvin „heiter und freudigen Herzens“

Mit freundlicher Genehmigung durch Dr. Bartolt Haase
Pastor der Lippischen Landeskirche und Assistent des Vorstandsvorsitzenden der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel

zuerst veröffentlicht durch „Lippe Evangelisch“: Heiter und frohen Herzens
Buchveröffentlichung:  „Allerhand Erneuerung“

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