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Braucht Deutschland eine neue Reformation?

Am 31. Oktober 1517 hatte Martin Luther (1483-1546) seine 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche angeschlagen; dieses Datum gilt als Auftakt zur Reformation. In vielen Kirchen, auch den sogenannten „evangelischen Freikirchen„, wird daher heute offiziell der Reformation gedacht. In einigen Bundesländern ist der Reformationstag sogar ein arbeitsfreier Feiertag.

Blickt man jedoch hinter die Kulissen, der aus der Reformation hervorgegangen evangelischen Kirchen, und auch der Freikirchen, ist festzustellen, dass von einem reformatorischen Erbe auf der einen Seite wenig übrig geblieben und auf der anderen Seite überhaupt gar nicht von einem solchen zu sprechen ist.

Denn nicht der ist bereits schon „evangelisch„, der sich evangelisch oder reformatorisch nennt, sondern der ist im eigentlichen Sinn evangelisch (und damit Erbe der Reformation), der auf dem Fundament reformatorischer Lehre und reformatorischer Bekenntnisse steht.

Abgesehen von konfessionellen, bekenntnisorientierten evangelischen Freikirchen, besitzen die meisten modernen Freikirchen historisch betrachtet, jedoch überhaupt gar keine historische Verwurzelung in der Reformation.

Das selbstgewählte Attribut „reformatorisch“ bzw. „evangelisch„, vieler sich so bezeichnenden Bewegungen und Gemeinden, trifft strenggenommen deshalb oftmals überhaupt nicht zu. Denn aus der Reformationszeit sind letztlich sogar drei „reformierte“ Strömungen hervorgegangen.

  • Am bekanntesten dabei fraglos einerseits die beiden reformatorischen Kirchen (lutherisch und die reformiert),
  • andererseits jedoch, nicht minder „reformiert“, die römisch katholische Kirche (Konzil von Trient).
  • Zumeist vergessen wird jedoch daneben der „linke Flügel“ bzw. die „radikale Reformation“ (Heinold Fast) und damit ein dritter Typus: eine sich als „restituierte“ Kirche (Wiederherstellung der neutestamentlichen Gemeinde, Franklin H. LittelI) verstehende Bewegung.

Zu dieser Bewegung werden neben den Täufern, die Spiritualisten und Schwärmer bzw. die Antitrinitarier gezählt. Wobei diese Gruppen nicht streng voneinander getrennt zu sehen sind und deren theologische Positionen („Schleitheimer Artikel“) fließend ineinander übergingen.

Vergleicht man nun die Glaubensüberzeugungen vieler heutiger Freikirchen, mit denen dieser Bewegung, lässt sich deren fortgesetzte Bezugnahme auf die Reformatoren m.E. nicht durchhalten. Diese wurden von den Reformatoren ebenso hart bekämpft und abgelehnt wurde wie die römische Verirrung. Und von dieser radikalen Spielart der Reformation ausgehend, über den Pietismus und eben nicht der eigentlichen Reformation entstand der heutige Evangelikalismus, welchem die sich oft zu unrecht „evangelisch“ nennenden Freikirchen angehören.

Formal sind die zwei protestantisch-evangelischen Konfessionen (reformiert/lutherisch) zwar noch den fünf Solas und den reformatorische Bekenntnisse verbunden, haben aber das reformatorischen Erbe fast vollständig über Bord geworfen. Die evangelischen Kirchen vertreten heute liberal-theologische Positionen, sowohl in der universitären Forschung bzw. innerhalb der reformatorischen Volkskirchen – egal ob lutherisch, reformiert oder uniert, welche mit der traditionell-orthodoxen reformatorischen Lehre respektive den nach wie vor offiziell geltenden Bekenntnissen und nicht zuletzt der Schrift im Widerspruch stehen (Bibelkritik, Ablehnung des Sühnetods etc.). Reformatorische Positionen wurden und werden verwässert und sogar aufgegeben.

Luther hatte es der römisch katholischen Kirche in Bezug auf die Rechtfertigung (articulus stantis et cadentis ecclesia) damals mit auf den Weg gegeben: Diese hatte ihren Anspruch katholische Kirche zu sein – seiner Meinung nach – eben selbst dadurch verloren, dass sie sich von der Quelle wegorientiert hat und seine eigene Katholizität keineswegs in Frage stellen lassen. Dies gilt ebenso für die heutigen evangelischen Kirchen.

Der Begriff “reformatorisch” oder „evangelisch“ stand und steht ohne wenn und aber für konkret faßbare Lehren und Bekenntnisse. Diese stehen jedoch wiederum in einem – oft fundamentalen – Gegensatz zu den allermeisten Glaubenssätzen evangelikaler Gemeinden, insbesondere in der Frage der Rechtfertigung. Luther oder Calvin würden jedoch auch das „Sola Scritura“ Verständnis weiter Teile des Evangelikalismus als nichtreformatorisch und schwärmerisch ansehen.

Ohne erneute Reformation der Kirchen (Ecclesia semper reformanda est) in Deutschland, einer Reformation am Wort Gottes, unabhängig davon ob es Landeskirchen oder Freikirchen betrifft, gilt die oben genannte Feststellung Luthers für beide.

sdg
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