Allgemein,  Theologie

Zucht und Ordnung

Auf das Stichwort „Zucht“ reagieren die meisten Personen unangenehm berührt bis allergisch. Zu sehr erinnert es autoritäre Erziehungsmodelle oder totalitäre Gesellschaftsordnungen. Dies überträgt sich bis in die Kirchen und Gemeinden hinein. Existiert auf der einen Seite zudem oft erkennbar wenig bis keine Kirchen- bzw. Gemeindezucht, wird diese auf der anderen Seite bisweilen auf  fragwürdige Art und Weise betrieben. Was ist geboten, was verboten?

Ich möchte hier kurz ein paar Gedanken zur Bedeutung, dem Wozu, dem Wann und dem Wie äußern. Auch wenn diese Begrifflichkeit – wie so viele – in der Schrift nicht vorkommt, existieren unzweideutige Anweisungen wie mit Irrlehre und Sünde in der Kirche umzugehen ist. Und damit sind auch schon die zwei Hauptaspekte benannt, mit denen sich Kirchenzucht zu befassen hat.

Bedeutung
Die Bedeutung des deutschen Wort „Zucht“ wird von dem griechischen Begriff  „paideia“ (παιδεία) hergeleitet und meint: „Erziehung“ bzw. „Bildung“. Paideia stellt ein Schlüsselbegriff für das Verständnis der antiken und damit auch frühchristlichen  Kultur dar bzw. ist ein zentraler Wertebegriff. Dabei geht es eben nicht um körperliche „Züchtigung„, sondern vielmehr um die notwendige und richtige Unterweisung und Belehrung.

Eph 6,4 Und ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Ermahnung des Herrn.

Betroffen ist in diesem Zusammenhang primär die Ekklesiologie bzw. Seelsorge, also die geistlichen Pflege der Kirche bzw. des einzelnen. In diesem Spannungsfeld, nicht der Interessen, sondern dem Kernbereich dessen, was den Leib Christi in seinem Wesen ausmacht, muß dieses Thema betrachtet und behandelt werden.

Wozu ist Kirchenzucht nötig?
Dem protestantischen bzw. reformierten Verständnis nach handelt es sich bei der Kirche um einen vermischten Leib (corpus permixtum), in welchem wahrhaft Gläubige und Heuchler, ihre Sünden bedauernde, gerechtfertigte Sünder und Unbußfertige miteinander vermengt sind. Die Reformatoren waren sich einig darin, das es menschlicherseits  unmöglich ist um die Erwählung des Einzelnen letztgültig zu wissen, aber ebenso nötig ist, die Gemeinschaft der Gläubigen vor der zerstörerischen Wirkung von unbußfertigen Sündern zu schützen.

Es geht dabei einerseits um die Ehre und Heiligkeit Gottes. Die Kirche insgesamt wird als Tempel Gottes bezeichnet. In und durch Kirche soll der Heiligkeit Gottes Ausdruck verliehen werden (1. Kor. 3,16). Die Kirche soll reingehalten und geschützt werden. Sünde durchdringt der Schrift folgend die ganze Gemeinde und würde diese zugrunde richten. In der Schrift wird weiterhin scharf zwischen Kirche und Welt getrennt und unterschieden.

1Kor3,16 Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? 17 Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid {ihr}.
Eph5,27 sie vor sich stelle als eine Gemeinde, die herrlich sei und keinen Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern die heilig und untadelig sei.
2Kor6,14 Zieht nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen. Denn was hat die Gerechtigkeit zu schaffen mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis?
1Kor5,13 Gott aber wird, die draußen sind, richten. Verstoßt ihr den Bösen aus eurer Mitte!“

Andererseits geht es um den einzelnen Gläubigen der in Sünde lebt. Dieser soll gewonnen werden. Oft hilft ein Gespräch unter vier Augen, in welchem er ermahnt wird. Erst der letzte Schritt bedeutet Kirchenausschluss. Ziel ist und darf dabei dabei nie sein,  einzelne zu verurteilen, bloß zu stellen oder Rache zu üben, sondern zu Hilfe zu leisten.

Mt18,15 Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein! Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.
1Kor5,5 einen solchen im Namen unseres Herrn Jesus dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, damit der Geist errettet werde am Tage des Herrn.

Kirchenzucht verfolgt demzufolge das Ziel

  1. der Reinhaltung der Kirche bzw.
  2. der Rückgewinnung und Erziehung des bußwilliger Gläubigen.

und gehört zu den Kennzeichen (nota ecclesiae), an dem die Menschen die Kirche erkennen können.

Wann ist Kirchenzucht nötig
Kein Gläubiger kann von sich sagen das er ohne Sünde wäre (1Joh 1,7-10; 2Kor13,5). Das reformatorische „zugleich Gerechter und Sünder“ (simul iustus et peccator; Röm7,17 etc.) verdeutlicht, das Gläubige zeitlebens sündige Wesen bleiben. Wie Eingangs bereits angeführt existieren zwei Aspekte – Irrlehre und Sünde – durch welche die Heiligkeit der Gemeinde beeinträchtigt wird. Kirchenzucht soll die Gemeinde schützen, dass sie als heiliger Tempel Gottes nicht entwürdigt wird.

1Kor5,6 … Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? 7 Darum schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja ungesäuert seid. Denn auch wir haben ein Passalamm, das ist Christus, der geopfert ist.

So, wie wenig Sauerteig ausreicht den ganzen Brotteig zu durchdringen, so durchdringt bereits wenig geduldete Sünde die ganze Gemeinde und zerstört sie.

1Kor5,11 Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Unzüchtiger ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Lästerer oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit einem solchen nicht einmal zu essen. 12 Denn was habe ich zu richten, die draußen sind ? Richtet ihr nicht, die drinnen sind? 13 Die aber draußen sind, richtet Gott. Tut den Bösen von euch selbst hinaus!

Gründe für Gemeindezucht sind demzufolge Unzucht, d.h.sexuelle Unmoral egal welcher Art, Habsucht, offensichtliche Gottlosigkeit oder konkrete Verbrechen. Luther unterscheidet hier zwischen „sündig“ (peccator) und „gottlos“ (impius), und zwischen „Wurzelsünde“ (peccatum radicale, originis, naturale) und „Verbrechenstaten“ (scelera et crimina, peccata actualia, praevaricationes). Desweiteren soll diese auf Personen angewandt werden die einen unordentlichen Lebenswandel haben 2.Thes. 3,6-15) bzw. Irrlehre verbreiten (Titus 3:10).

Wie soll Kirchenzucht praktiziert werden?
Kirchenzucht ist nun weder eine Sache, welche ausschließlich durch die Kirchenleitung praktiziert wird, noch allein zwischen den Gläubigen auszuhandeln wäre. Dabei steht der Kirchenausschluß zudem auch immer erst am Ende einer längeren Eskalation. Die Schrift gibt uns dazu konkrete Hilfen an die Hand.

1Kor12,25 damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen.
Eph4,16 von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, daß der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.
Röm15,14 Ich weiß aber selbst sehr wohl von euch, liebe Brüder, daß auch ihr selber voll Güte seid, erfüllt mit aller Erkenntnis, so daß ihr euch untereinander ermahnen könnt.
Hebr12,10-11 Denn jene haben uns gezüchtigt für wenige Tage nach ihrem Gutdünken, dieser aber tut es zu unserm Besten, damit wir an seiner Heiligkeit Anteil erlangen. Jede Züchtigung aber, wenn sie da ist, scheint uns nicht Freude, sondern Leid zu sein, danach aber bringt sie als Frucht denen, die dadurch geübt sind, Frieden und Gerechtigkeit.
Mt18,15 Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. 16 Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. 17 Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.

  1. Es beginnt mit einem Gespräch unter vier Augen.
  2. Hört derjenige nicht, soll man ihn zu zweit oder zu dritt ansprechen.
  3. Hört er wieder nicht, soll es der Gemeinde thematisiert werden.
  4. Erst nachdem derjenige, der in Sünde lebt, mehrfach darauf hin angesprochen wurde, nicht hörte und in seiner Sünde verharrt, kommt es zum Ausschluss.

Die Exkommunikation sei dazu da, damit die Seele des Unzüchtigen am letzten Tag gerettet werde. Dietrich Bonhoeffer (1930)

Mit diesen Maßnahmen soll auch dem Gerede vorgebeugt werden. Wird dem Betroffenen anfänglich noch die Möglichkeit eingeräumt, seine Sünden nur einem kleinen Kreis bzw. zwischen vier Augen bekannt werden zu lassen, steigt die Anzahl der Zeugen mit jeder Stufe. Dabei geht es primär darum denjenigen klar, aber in aller Demut sein Fehlverhalten aufzuzeigen und die Möglichkeit der Umkehr einzuräumen. Grund für die Hinzuziehung von mehreren Zeugen ist nicht nur die Bestätigung, daß die Sünde tatsächlich begangen worden ist, sondern ebenso sicherzustellen, das er in korrekter Weise ermahnt worden und ob er Buße getan hat oder nicht. Der Ausschluß bedeutet das vorläufige Ende jeder kirchlichen Gemeinschaft mit dem unbußfertigen Sünder, mit der Maßgabe diesen wie einen Ungläubigen anzusehen und zu behandeln.

1Tim5, 20 Die da sündigen, weise vor allen zurecht, damit auch die übrigen Furcht haben. 21 Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christus Jesus und den auserwählten Engeln, daß du diese Dinge ohne Vorurteil befolgen und nichts nach Gunst tun sollst.
1Kor 5,12 Denn was habe ich zu richten, die draußen sind? Richtet ihr nicht, die drinnen sind? 13 Die aber draußen sind, richtet Gott. Tut den Bösen von euch selbst hinaus!
Mt18,17 Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.

Im einem solchen Fall steht das Handeln der Kirche stellvertretend für Gottes Handeln. Er wird offiziell nicht mehr als Christ respektive Gläubiger angesehen, soll aber genau wie jeder andere Ungläubige aufgerufen werden umzukehren. Er ist vom Abendmahl ausgeschloßen, und darf keine Ämter in der Gemeinde ausüben.

Das Belgische Bekenntnis von 1561 verknüpft das Recht, sich wahre Kirche zu nennen u.a. explizit mit der Anwendung von Kirchenzucht (nota ecclesiae), der Unterscheidung von Welt und Kirche.

Wir glauben, dass man mit der größten Sorgfalt und Klugheit aus dem Worte Gottes prüfen und unterscheiden muß, welches diese wahre Kirche sei, da alle Sekten, so viele ihrer heute in der Welt bestehen, den Titel und Namen der Kirche annehmen und vorschützen. Wir reden jetzt aber durchaus nicht von der Gemeinschaft der Heuchler, welche in der Kirche mit den Guten vermischt sind und zugleich unter diesem Titel der Kirche verborgen sind, aber nicht eigentlich zur Kirche gehören, wenn sie auch in derselben leiblich gegenwärtig sind, sondern von der Unterscheidung der Vereinigung der wahren Kirche von allen anderen Sekten, die sich fälschlich rühmen, Glieder der Kirche zu sein. Die Kennzeichen, durch welche die wahre Kirche sich von der falschen unterscheidet, sind diese: wenn sich die Kirche der reinen Predigt des Evangeliums und der lautern Verwaltung der Sakramente nach der Einsetzung Christi bedient; wenn sie sich der Kirchenzucht recht zur Besserung der Fehler bedient; wenn sie endlich (damit wir alles mit einem Worte zusammenfassen) alles nach der Vorschrift des Wortes Gottes tut und alles, was ihm widerstreitet, verabscheut und Christus für das einzige Haupt anerkennt. Es ist gewiß, dass durch diese Kennzeichen die wahre Kirche unterschieden werden kann, von der sich keiner trennen darf. (Art. 29)

sdg
apologet

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2 Kommentare

  • Religia

    Käsekram.
    Sind gestern im Film „Das weiße Band“ gewesen. Was aus „Zucht und Ordnung“ entsteht: Gewalt und Spaß an der Gewalt, Heuchelei, Sadismus unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit. Angst, Neid, Schweigen…
    Wie kann sich Kirche zu so was hergeben? „Ich steh allein vor meinem Gott“ – nur ich selbst bin verantwortlich und darf der Liebe Gottes entgegensehen, keiner kann und muss für mich entscheiden, was richtig und was falsch ist. (Römer 1, 16f, 3,28) Es lebe MartinLuther.